24. ilb
5 – 14 Sep 2024 Programm
9 – 18 Sep 2024 Junges Programm

Geständnisse und Eselsohren – nachgefragt bei Luka Holmegaard

Portrait Luka Holmegaard
Luka Holmegaard [© Kaspar Vang]

Wir stellen die Autor:innen des 22. ilb vor – mit Fragen über das Schreiben, Lesen und Nichtzuendelesen. Hier erfahrt ihr, welcher queere Buchladen in London einen besonderen Platz in Luka Holmegaards Herzen hat.

Zeit für ein kleines Geständnis: Welchen großen Klassiker haben Sie angefangen… aber nicht zu
Ende gelesen?

Ich muss zugeben, dass ich manchmal im Verlauf aus Büchern aussteige, aber ich behalte immer die unrealistische Hoffnung, dass ich sie eines Tages zu Ende lesen werde. Noch peinlicher fühlt es sich irgendwie an, wenn es sich um ein wirklich langes Buch handelt und ich ein ehrgeiziges Leseprojekt begonnen habe. Das ist vor ein paar Jahren mit George Eliots »Middlemarch« passiert, aber ich hoffe immer noch, dass ich es durch schaffe!

Die ewige Frage: Hardcover oder Taschenbuch? 
Taschenbuch, immer. Ich reise viel mit meinen Büchern und habe ständig zu viele dabei. Und Hardcover sind dafür zu schwer.

Wenn ein unveröffentlichtes Buch eines Autors oder einer Autorin entdeckt werden würde, über wen würden Sie sich am meisten freuen?
Ich habe vor kurzem die Tagebücher von Lou Sullivan gelesen – er war ein schwuler Transmann, ein Aktivist, Schriftsteller und Transhistoriker, der in den 1970er und 80er Jahren in San Fransisco lebte. Er starb jung an den Folgen einer AIDS-Erkrankung, im Alter von 39 Jahren. Eine größere Ausgabe der Tagebücher ist vor kurzem erstmals erschienen. Er hat sein Leben sehr lebhaft und detailliert dokumentiert und auch eine Biografie geschrieben, aber er schreibt in seinem Tagebuch viel über seine literarischen Ambitionen, und seine Prosa ist so witzig, so direkt und schön und emotional widerhallend. Ich würde mich sehr freuen, wenn jemand einen verschollenen Beat-Trans-Roadtrip-Romanzen-Roman oder etwas Ähnliches von ihm ausgraben würde. Das würde mir das Herz brechen, auf die beste Art und Weise.

Die zentrale Frage: Lesezeichen oder Eselsohren?
Lesezeichen. Allerdings finde ich oft keine und mache dann Stapel von Büchern, die sich gegenseitig auf unterschiedliche Weise aufgeschlagen halten. Oder ich benutze einen Stift.

Welches Buch liegt gerade auf Ihrem Nachttisch?
Gerade jetzt habe ich wieder angefangen viel Lyrik zu lesen, also liegen überall in meiner Wohnung Lyrikbücher herum. Auf meinem Nachttisch liegen Kae Tempests »Running Upon The Wires« und die dänische Übersetzung von Iman Mohammeds »Behind the Tree Backs«. Beide Bücher beschäftigen sich unter anderem mit Begehren und Körperlichkeit, auf sehr unterschiedliche, aber brillante Weise.

Was ist Ihr Lieblingsbuchladen?
»Gay’s the Word« in Bloomsbury, London. Ich habe einen großen Platz in meinem Herzen für alle queeren Buchläden, und dieser war meine erste Begegnung damit und der Laden, in den ich immer zurückkehre, wenn ich in London bin. Deshalb wähle ich Taschenbücher. Weil ich dort jedes Mal sieben oder acht Bücher kaufe und sie den ganzen Weg zurück nach Kopenhagen bringen muss.

Wer war bisher Ihre Neuentdeckung des Jahres?
Ich habe gerade »Tell Me I’m Worthless« von Alison Rumfitt gelesen, und es hat mich total begeistert. Im Zentrum der Geschichte ist ein Geisterhaus sowie zwei Personen, die nach einer Nacht darin herauskommen und beide glauben, dass der andere sie angegriffen hat. Es ist eine Horrorgeschichte, sehr gruselig, wofür ich normalerweise ein viel zu großer Angsthase bin, aber es ist einfach so gut, ein so intelligentes Angebot an Gedanken über die heutige Welt und sowohl die Geschichte als auch den Aufstieg des Faschismus in Europa und Großbritannien. Ich kann es nur wärmstens empfehlen.

Wenn Sie für den Rest Ihres Lebens nur noch ein einziges Buch lesen dürften, welches wäre es?
Vielleicht ist es geschummelt, aber ich würde mich dann für »Gesammelte Werke« entscheiden. Wahrscheinlich die gesammelten dramatischen Werke des dänischen Autors Morti Vizki. Sie sind vor kurzem in einer schönen Ausgabe erschienen und ich habe seitdem oft darin gelesen.

An welchem Ort schreiben Sie am liebsten?
Ich gehe oft weg, um zu schreiben, in Apartments oder in Ferienwohnungen. Diesen Sommer war ich in Amsterdam und wohnte in der Wohnung einer Freundin. Ich schrieb und kümmerte mich um ihren Hund, während sie und ihr Partner im Urlaub waren. Das war sehr produktiv, ich habe in diesen Wochen eine Menge Gedichte geschrieben. Wenn ich in Kopenhagen bin, schreibe ich morgens zu Hause an meinem Schreibtisch.

Lesen Sie Ihre eigenen Bücher, nachdem sie veröffentlicht wurden?
Nur wenn ich Lesungen halte oder wenn ich aus einem bestimmten Grund etwas nachschlagen muss. Ich glaube, ich habe zu viel Angst, Fehler zu finden oder Dinge, die ich lieber geändert hätte. Was meine ersten Bücher angeht, die vor Jahren herausgekommen sind, lebe ich in einer Art Verleugnung und tue so, als ob sie keinen Text enthielten, als ob sie leer wären, wenn ich sie aufschlüge. Aber Leute sagen mir immer wieder, dass sie sie lesen und genießen, und ich denke, das ist der Punkt: dass sie viel mehr für andere Leute sind als für mich.

Wir freuen uns, Luka Holmegaard am 15. September auf dem internationalen literaturfestival berlin begrüßen zu dürfen. Holmegaards drittes Buch, »Look« [2020], ein Hybrid aus Essay und Roman, wurde für den Literaturpreis der dänischen Tageszeitung »Politiken« nominiert. Luka Holmegaard wirkt mit in der Veranstaltung Text und Textil – Literatur und Mode und in der Veranstaltung 3 x 8, in welcher drei Autor:innen jeweils acht Minuten in ihren Sprachen lesen und Auskunft über ihre Werke geben.

Übersetzung: Jakob Brassel