Der Dichter Saadi Youssef wurde 1934 in der Nähe von Basra, Irak, geboren. Im Jahr der israelischen Staatsgründung 1948 brachen junge Literaten mit der klassischen arabischen Dichtungstradition und führten den „free verse“ in die arabische Literatur ein. Unaufhaltsam wie der Wüstenwind verbreitete sich dieser neue Stil und prägte die folgende Dichtergeneration, der auch Youssef angehört.
Er studierte arabische Literatur in Bagdad. Später musste er aufgrund seines politischen Engagements wiederholt das Land verlassen – ein Schicksal, das er mit der Mehrheit der irakischen Intelligenzia teilte. Ende der siebziger Jahre, als Saddam Hussein an die Macht kam, verließ Saadi Youssef Bagdad endgültig. Heute lebt er, nach jahrelanger Odyssee durch arabische Exilorte, in London.
Geprägt wurde Youssef von den bedeutendsten Lyrikern der „free verse“ Bewegung, den Irakern Badr Shakir as-Sayyab und Abdalwahhab al-Bayyati, die der Dichtung eine starke Position in der Phalanx der progressiven, revolutionären Kräfte geben wollten. Youssefs Gedichte waren in den fünfziger und sechziger Jahren von politischem Engagement gezeichnet; wie Mahmud Darwish oder Amal Dunqul vertrat er den Anspruch, als Dichter für das Volk einzutreten. Er stand der anti-imperialistischen Bewegung nahe, die sich seinerzeit in sozialistischen und kommunistischen Parteien sammelte.
In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wandte er sich von der politischen Dichtung ab. Immer mehr glichen seine Verse einem Zen-Koan: voller Geheimnis und doch so einfach. Wie im Kinderspiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“ spricht er über scheinbar Alltägliches und meint damit die Dinge hinter den Dingen. Niemals stehen die so trefflich wie stilsicher und einfach beschriebenen Alltagsphänomene für sich allein, sie weisen über sich selbst hinaus, öffnen ungeahnte Horizonte eines anderen Verstehens. Seinen politischen Anspruch vermittelt er seitdem implizit, nicht mehr in direkten Botschaften.
Youssefs von lyrischem Realismus gekennzeichnete Sprache ist verblüffend ehrlich und direkt. Als Übersetzer der Werke von Oktay Rifat, Melih Cevdet Anday, Garcia Lorca, Jannis Ritsos und vor allem Konstantin Kavafis („he is my guide in the intricate craftsmanship of poetry“) und Walt Whitmans ins Arabische fühlt er sich diesen Dichtern der Weltliteratur stark verbunden. Saadi Youssef ist ein Künstler, der – zwangsläufig – die Meere bereist, ohne den Anker in seiner Heimat je gelichtet zu haben. Ständige Sehnsucht begleitet ihn auf seinen Reisen, das Thema von Exil und Migration ist allgegenwärtig: „der Pol hat den Leitstern verloren – doch mein fernes Zuhause wartet noch immer auf mich.“
Saadi Youssef spricht heute, kurz nach Ende des Irakkriegs, mit schonungsloser Einsicht über die politische Zukunft: „We must still, it seems to me, brace ourselves for a possible series of shock waves in the aftermath of the recent seismic upheavels in Iraq.“ Was seine Dichtung so faszinierend macht, ist, dass sie trotz der erdrückenden politischen Realität von einer erstaunlichen Leichtigkeit ist. Sie ist eine aus Licht und Erde geformte, wie der Kritiker Stephen Watts schrieb, ist einfach und geht uns unmittelbar an:
Denk an Basra
Denk an das, was wir lieben
Und wovon wir von Herzen singen
Sonne, Brot – und Liebe.
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