24. ilb
Abendprogramm: 05. – 14.09.2024
Junges Programm: 09. – 18.09.2024

Festivaleröffnung

Begrüßung: Lavinia Frey
Grußworte: Claudia Roth (Kulturstaatsministerin und Schirmfrau des Festivals) und Joe Chialo (Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt)

Francesca Melandri eröffnet das 23. ilb mit ihrer Rede »The Ultrasound of Silence«. Die Auseinandersetzung mit Erinnerungskultur und vergessener Geschichte prägt Melandris Werk.
»Fehlende Daten auf Denkmälern. Ausgelassene Worte in nationalen Verfassungen. Nachrichten, die nicht auf den Titelseiten erscheinen. Auslassungen, Ellipsen, Löschungen, höfliche Vermeidungen: Der mächtigste Ausdruck von Geschichte und Politik – und möglicherweise allgemein menschlicher Beziehungen – liegt oft in dem, was unausgesprochen bleibt.« [Francesca Melandri] Im Anschluss diskutieren Francesca Melandri, Navid Kermani und Manjeet Mann in dem von Vivian Perkovic moderierten Gespräch über Schweigen, Nichtsprechen und die Freiheit der Rede in unserer heutigen Kultur.

Mit freundlicher Unterstützung des Instituto Italiano di Cultura di Berlino.
Musikalische Gestaltung durch Musiker:innen des Trickster Orchestra unter der Leitung von Cymin Samawatie.

Zum Auftakt des Festivals liest die Berliner Siegerin des Vorlesewettbewerbs des Deutschen Buchhandels, Celia Spickhoff, im Rahmen des SPECIAL »1933–2023« aus Erich Kästners »Pünktchen und Anton«.

Die Veranstaltung findet auf Deutsch und Englisch statt.

Programm

„Maa shodane nou be nou“ / „Das neue Wir“
Trickster Orchestra, Komposition: Cymin Samawatie; Text: Cymin Samawatie & Ali Abdollahi, 2023

Begrüßung Vivian Perkovic, Moderation

Lesung Erich Kästner „Pünktchen und Anton“
Auftakt zum Special 1933 – 2023 mit Lesungen aus verbotenen und 1933 verbrannten Büchern
Leserin: Celia Spickhoff Berliner Siegerin des Vorlesewettbewerbs des Deutschen Buchhandels

Begrüßung Lavinia Frey, Festivalleitung

Grußwort von Staatsministerin für Kultur und Medien und Schirmfrau 23. ilb Claudia Roth

Grußwort von Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Joe Chialo

„The Ultrasound of Silence“ / „Der Ultraschall des Schweigens“
Eröffnungsrede von Francesca Melandri

„The Ultrasound of Silence“ – Musikalische Reflektion zur Eröffnungsrede
Trickster Orchestra

„On Silence, Speaking out and the Freedom of Literature“
Gespräch mit Vivian Perkovic (Moderation), Francesca Melandri, Navid Kermani und Manjeet Mann

„Der Wassertiger“
Trickster Orchestra, Komposition: Cymin Samawatie, 2021

Francesca Melandri [Italien]

Navid Kermani [Deutschland]

Manjeet Mann [Großbritannien]

Trickster Orchestra:

Cymin Samawatie – Gesang, künstlerische Leitung
Maria Reich – Violine
Dima Dawood – Kanun
Wu Wei – Sheng
Milian Vogel – Bassklarinette, Electronics
Taiko Saito – Vibraphon

Programmatisches Statement zur Eröffnung:

Als Mitglieder des Berliner Trickster Orchestra freuen wir uns sehr, zur diesjährigen Eröffnung des internationalen literaturfestivals berlin beitragen zu dürfen. Mit unserer Musik lösen wir uns ein Stück weit von unseren Traditionen, um unserer verflochtenen Gegenwart Ausdruck zu verleihen. Die Frage, die im Zentrum der drei Werke steht, die Sie heute Abend hören, ist folgende: Wie können wir das musikalische Wissen, das in unseren Traditionen verankert ist, als lebendige Bedeutung erhalten?

Wir verorten mit diesem Programm verschiedene musikalische Vermächtnisse in unserer globalen Gegenwart, die wir heute direkt vor unserer Haustür finden. Wir sind neugierig, was die Sheng oder die Viola antworten, wenn Electronics oder die Kanun eine Frage stellen. Nicht nur durch Improvisation verbinden wir diese Instrumente miteinander. Auch in Texturen und Partituren suchen wir nach neuen Ähnlichkeiten. Wir finden diesen Ort des Zusammenwachsens in Klanglandschaften, die Groove mit lyrischen, sphärischen und abstrakten Klängen verschmelzen. Diese berührende Synthese, gewoben aus mannigfaltigen kulturellen Strängen, nennen wir trans-traditionelle Musik.

An vielen Orten der Welt waren Musik und Poesie nie strikt voneinander getrennt. Das Eröffnungsstück „Maa shodane nou be nou“ („Das neue Wir“, 2023; Komposition: Cymin Samawatie, 1976) verleiht dieser Verbindung Ausdruck. Es vertont ein Gedicht auf Farsi, das in Zusammenarbeit zwischen Cymin Samawatie und Ali Abdollahi (1968) entstand. Die persische Poesie steuert hier eine weitere Klangfarbe bei. Ihre mehrdeutigen Schattierungen bringen das zum Ausdruck, was nicht unbedingt explizit gemacht werden kann. Der Musik und der Poesie wohnt die Sehnsucht inne, sich neu mit dem Anderen zu vereinen und die komplexen Schattierungen menschlicher Vielfalt zu spüren:

Ein neues Wir

Verflochten mit dem Alten

Die Hoffnung nach Freiheit

Durchtränkt mit Schmerz

Ein neues Wir

Aus der Schwere der Vergangenheit

Ummantelt mit frischer Leichtigkeit

Auf einem langen Weg zu Dir

Ein neues Wir

Behutsam aus der Sehnsucht

Nach einer ewigen Lust

Das neue Wir

Ein leichtes Wagnis

Verwoben mit einer Fantasie aus mir

Im zweiten musikalischen Moment nehmen wir den Titel der Eröffnungsrede von Francesca Melandri auf, um musikalisch zur Lautstärke des Schweigens zu reflektieren. „The Ultrasound of Silence“ ist ein Versuch, der Präsenz der Stille Raum zu verschaffen. Eine Improvisation zur Unterlassung, Löschung und Absenz von Begriffen und Wörtern mündet in ein klangliches Gespräch darüber, wie diese menschliche Interaktion und Raum transformieren.

Mit dem „Wassertiger“ (2021, Komposition: Cymin Samawatie) stellen wir zum Abschluss eine Tondichtung vor, die sich einem imaginierten Wesen der Verflüssigung widmet. Das Stück basiert auf einem Libretto von Monika Rinck (*1969) und ist ein Auszug unseres Radiohörstücks „Mimesis: Nothing is alien between us“, das für die SWR2 Jetztmusik entstand. Auf musikalischer Nachahmung basierend, entsteht aus fluidem Groove und klanglichen Echos ein transkultureller Mythos des Dazwischen.

Die Lyrik und Musik des heutigen Programms spiegeln unser geteiltes menschliches Dasein wider. Ihre Themen erinnern uns daran, dass unsere eigenen Erfahrungen bei aller Unterschiedlichkeit die Erfahrungen der anderen widerspiegeln und dass wir keine einsamen Wesen sind. Sie alle teilen ein emotionales Terrain. Sie alle „ermöglichen es uns, eine Sache anzuschauen und uns mit ihr zu identifizieren, um auf diese Weise ihr Wesen zu stärken“, wie der Dichter Czeslaw Milosz einmal schrieb. Für uns verkörpert der in so vielen Literaturen des Planeten lebende Trickster diese Fähigkeit, sich in verschiedene Formen des Seins zu verwandeln, die Mehrdeutigkeit des Lebens wertzuschätzen und allzu saubere Trennungen zu durchbrechen.