Zum Auftakt des 22. internationalen literaturfestival berlin begrüßen Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, Dr. Klaus Lederer, Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa in Berlin, sowie Matthias Pees, Intendant der Berliner Festspiele, die Besucher:innen des Festivals und stimmen auf elf ereignisreiche Tage in der Literaturstadt Berlin ein.
Claudia Roth, MdB, Staatsministerin für Kultur und Medien
»Der zeitgenössischen Literatur fällt eine Verantwortung zu, der sie nicht gewachsen ist«, schrieb Heinrich Böll schon vor sechs Jahrzehnten. Und tatsächlich müssen wir aufpassen, dass wir sie auch heute nicht mit unseren Erwartungen überfrachten. Das fällt schwer angesichts der Kraft, die Literatur entfalten kann. Wer liest, wer Literatur in Lesungen hört, dessen Denken wird mobilisiert. Die Lust an geistiger Auseinandersetzung auch mit Neuem, bislang Fremdem, wird im Dialog mit der Autorin, dem Autor geweckt. Damit wird auch die Fähigkeit zur Teilhabe am demokratischen Diskurs gefördert. Lebendige Demokratie braucht außerdem die Vielstimmigkeit von Literatur aus allen Teilen der Welt – in dieser Zeit, in der wir mit dem Grauen eines Angriffskrieges auf die Ukraine konfrontiert sind, mehr als sonst. Ich freue mich deshalb sehr, dass das internationale literaturfestival berlin [ilb] in diesem Jahr wieder live, an vielen Veranstaltungsorten und mit zahlreichen Begegnungen stattfindet. Dem unermüdlichen Ulrich Schreiber und seinem Team ist es erneut gelungen, die ganze Breite und Vielfalt der Literatur abzubilden. Das gilt für die aktuellen Themen, die spannenden Inhalte, die vertreten sind, für die Autorinnen und Autoren aus rund 50 Ländern, aber auch, und das macht für mich den besonderen Reiz dieses internationalen Literaturfestivals aus, die Vielfalt an Sparten und Kulturformen: Wo sonst sind Graphic Novel und Kinderbuch so prominent neben der Prosa, der Lyrik mit den Poetry Nights und dem Sachbuch vertreten? Das breit gefächerte Programm zeigt, dass das 22. ilb seinem Ruf alle Ehre macht. Bei allen Erwartungen, denen die zeitgenössische Literatur immer wieder begegnet: Literatur darf und soll auch einfach Freude machen, zum Weinen und zum Lachen bringen. Freuen wir uns deshalb auf elf wort- und ereignisreiche Literaturtage im September.
Dr. Klaus Lederer, Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa in Berlin
Ich bin immer wieder beeindruckt, in welcher Vielfalt bei diesem Festival Literatur präsentiert wird. 160 Autor:innen von fünf Kontinenten werden beim ilb 11 Tage lang auftreten, mit anderen Künsten interagieren, über ihre Arbeit und Weltsicht diskutieren und natürlich aus ihren neuesten Werken lesen. Das Schönste: Es werden wieder 30.000 Besucher:innen erwartet, die in diesem Jahr hoffentlich fast uneingeschränkt »in Präsenz« zu den Veranstaltungen kommen können. Ich finde es hervorragend, dass neben den großen internationalen Namen erneut auch exzellente Autor:innen eingeladen werden, die bislang außerhalb ihrer Länder weniger bekannt sind. Auf diese Weise gelingt es, einer Literatur Raum zu geben, die oft durch eine repressive Politik im Herkunftsland diskriminiert oder sogar unterdrückt wird. Gerade die Literatur ermöglicht durch ihre Reflexionsmöglichkeiten Einblick und manchmal sogar Einfühlung in zunächst fremd scheinende Gedankenwelten, Ideen und Gemütslagen. Diese Einsichten sind wichtige, ja unentbehrliche Schritte zur Gestaltung einer gemeinsamen, friedlichen Welt, aus der die dominierende Ökonomie der Stärkeren hoffentlich nach und nach verdrängt wird und in der sich die Lebensverhältnisse für alle Menschen verbessern. Kein Zweifel, der interkulturelle Austausch wird mit diesem Festival der »Weltliteratur« großartig befördert, und das ist eine Wohltat an der Literaturstadt Berlin. Die hier angeregten Übersetzungen spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie sind es, die den gegenseitigen Austausch intensivieren und sogar oft erst ermöglichen. Ich hoffe, dass Sie, liebe Besucher:innen, neben Gesprächen und Diskussionen mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt auch Zeit finden werden, einige Streifzüge durch unsere Stadt zu unternehmen. Es lohnt sich, auch das »außerliterarische« Berlin kennenzulernen. Lieber Herr Schreiber, ich danke Ihnen und dem ganzen Team für Ihre großartige, unermüdliche Arbeit! Dem Literaturfestival 2022 wünsche ich erneut großen Erfolg!
Matthias Pees, Intendant der Berliner Festspiele
Zum Glück ist die Welt nicht so, wie es in der Zeitung steht. Wäre sie es, es stünde weit schlechter um sie als ohnehin. Pauschale Zuschreibungen prägen die gespenstische Debatte. Aus Angst vor Ambivalenz wird sie vor allem bekenntnishaft geführt; aus Angst vor dem Verlust von Bedeutungshoheit, von realen, aber illegitimen Besitzständen und gefühlter, aber geleugneter Superiorität wirkt sie wie ein Stellvertreter-Krieg für einen verqueren, aus der Zeit wie aus der Welt gefallenen Kulturkampf. Selten haben uns solche Zeiten und Welten so geängstigt. Wobei uns dabei – weit mehr als die pandemische, kriegerische, Energie- und Klimakrisen-geschüttelte Gegenwart – verdrängte und unbewältigte Schrecken der Vergangenheit einzuholen scheinen. Zum Glück gibt es Bücher. Und Schreibende in der ganzen Welt, die mit ebenso poetischem wie politischem Bewusstsein für Perspektive, Relation und Transformation, aus Verantwortung für Sprache und das Sprechen, für Beschreibung und Empfindung, diese Welt und unsere vergangenen, gegenwärtigen und möglichen Verhältnisse in anderes Licht rücken. Zurecht-, Ver-, Entrücken; spürbar und erlebbar machen. Ich werde nie vergessen, wie der belgische Schauspieler Bruno Vanden Broecke erst in der Garderobe zitterte vor seinem Auftritt mit David Van Reybroucks Kongo-Monolog »Mission« bei den Wiener Festwochen [auch bei den Berliner Festspielen hat er ihn gespielt]. Und dann an seinem Rednerpult vor über tausend Zuschauer:innen alle Angst verlor, nur im Vertrauen auf sich selbst und einen Text, der es schaffen kann, dass sich nach ihm für viele oder manche, die ihn hören, die eigene oder die ganze Welt anders darstellt, umfassender, klarer und komplexer zugleich, schmerzhafter und heilender. Zum Glück gibt es also das ilb! Um solche Erlebnisse zu vervielfachen. Und endlich wieder im Haus der Berliner Festspiele zu ermöglichen. Herzlich Willkommen!