»Wenn sich Autor:innen der Wahrheit verpflichtet sehen, welche Chance haben sie dann in einem Regime, das es schon zu einem Verbrechen macht, einen Krieg als Krieg zu bezeichnen?« Margaret Atwoods Frage im Film »Voices on War« (dt. Stimmen zum Krieg) wirft ein Schlaglicht auf die Krise, die seit Beginn des Ukraine-Kriegs auch Kulturschaffende und insbesondere Autor:innen erfasst hat.
Was macht der Ukraine-Krieg mit Autor:innen? Was haben sie uns in der Krise zu sagen? Im Film »Voices on War« äußern sich dreißig internationale Autor:innen, Journalist:innen und Publizist:innen in prägnanten Statements zum russischen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine, darunter Booker-Preisträger:innen Margaret Atwood und Damon Galgut, Pulitzer-Preisträger Matthieu Aikins, Heinrich-Böll-Preisträgerin Eva Menasse sowie der renommierte syrische Schriftsteller Khaled Khalifa. Die Weltpremiere des Films fand im Rahmen des 8. internationalen literaturfestivals odessa am 5. Oktober 2022 im georgischen Batumi statt. Der Film kann ab sofort kostenlos auf YouTube gestreamt werden.
Vor allem die Vielfältigkeit der im Film geäußerten Perspektiven und Gedanken zum Krieg zeichnen den knapp einstündigen Film aus: Während Matthieu Aikins aus Kanada, Amir Hassan Cheheltan aus dem Iran und Khaled Khalifa aus Syrien an die sowjetischen und russischen Kriege in Afghanistan und Syrien erinnern, erkennt die italienische Schriftstellerin Dacia Maraini vor allem Ähnlichkeiten zwischen dem italienischen Widerstand gegen den Faschismus und dem »mutigen« Kampf der ukrainischen Bevölkerung. Der in Odessa geborene Dichter, Kritiker, Übersetzer und Lyrik-Professor Ilya Kaminsky schildert seine Betroffenheit über die Zerstörungen in seiner Geburtsstadt und das Leiden der dortigen Bevölkerung. Wolf Biermann, Karl Schlögel und Daniel Cohn-Bendit mahnen zur Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung auf. Der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow ruft dazu auf, ukrainische Literatur zu lesen. Die tschechische Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin Radka Denemarková sieht im Krieg gegen die Ukraine den Gegensatz von offener Gesellschaft und Totalitarismus, von Meinungsfreiheit und Zensur sowie von Humanismus und ökonomischem Pragmatismus aufscheinen. Die österreichische Schriftstellerin Kathrin Röggla erkennt im Krieg nicht den vielfach heraufbeschworenen Einbruch des Realen ins Leben, sondern vielmehr eine »Irrealität«. Der niederländischsprachige belgische Autor, Historiker und Archäologe David Van Reybrouck mahnt, dass der Krieg die internationale Gemeinschaft auch im Kampf gegen den Klimawandel zurückwerfen wird und die türkische Journalistin Ece Temelkuran fürchtet die Gefahr der Normalisierung des Krieges in den Medien. Eva Menasse, die österreichische Schriftstellerin und Sprecherin des PEN Berlin sieht durch den Krieg den Glauben ihrer Generation an die Vernunft und den Fortschritt zutiefst erschüttert.
Ideen und Konzept: Ulrich Schreiber
Kamera: Norbert Kron, Andreas Hartmann
Schnitt: Andreas Hartmann
Gefördert durch: Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
Mit:
Matthieu Aikins, Kanada/USA
Sahar Ajdamsani, Iran
Omar Akbar, Deutschland/Afghanistan
Taqi Akhlaqi, Afghanistan/Deutschland
Homero Aridjis, Mexiko
Margaret Atwood, Kanada
Wolf Biermann, Deutschland
Amir Hassan Cheheltan, Iran
Jennifer Clement, USA/Mexiko
Daniel Cohn-Bendit, Frankreich/Deutschland
Radka Denemarková, Tschechien
Damon Galgut, Südafrika
Olivier Guez, Frankreich
Jānis Joņevs, Lettland
Ilya Kaminsky, Ukraine/USA
Khaled Khalifa, Syrien
Andrej Kurkow, Ukraine
Dacia Maraini, Italien
Marko Martin, Deutschlan
Francesca Melandri, Italien
Eva Menasse, Österreich/Deutschland
John Ralston Saul, Kanada
Kathrin Röggla, Österreich
Karl Schlögel, Deutschland
Peter Schneider, Deutschland
Burhan Sönmez, Türkei
Aleš Šteger, Slovenien
Gerhard Steidl, Deutschland
Ece Temelkuran, Türkei
David Van Reybrouck, Belgien