Yoko Tawada
Yoko Tawada wurde 1960 in Tokio geboren. Mit zwölf Jahren schrieb sie einen ersten Roman, den sie in Form von Fotokopien verteilte. Sie studierte Literaturwissenschaft, Schwerpunkt Russische Literatur, und ab 1982 Neue Deutsche Literatur in Hamburg. Sie promovierte über »Spielzeug und Sprachmagie in der europäischen Literatur« und begann auch auf Deutsch zu schreiben. Ihre erste deutsche Veröffentlichung war jedoch noch eine Übersetzung aus dem Japanischen: »Nur da wo du bist da ist nichts« (1987) enthält Gedichte und Prosa. 1993 erhielt sie den Akutagawa-Sho, den renommiertesten japanischen Literaturpreis, für ihre Erzählung »Inumukoiri« (dt. »Hundebräutigam«, in: »Tintenfisch auf Reisen«, 1994). 1996 wurde ihr der Adelbert-von-Chamisso-Preis verliehen.
Im Zentrum von Tawadas Schaffen steht Fremdheit: »Sprache ist fremd. Wie sonst könnte es geschehen, dass ein Satz völlig wahr und aufrichtig ist und doch kraftlos bleiben kann?« Indem Tawada diesem Aspekt mit raffinierter Naivität nachgeht, verrätselt sie auch das unmittelbare Weltverständnis, das jeder Kultur innewohnt. Als poetische Ethnologin bringt sie die Exotik des Alltags zum Vorschein, etwa in »Talisman« (1996), in dessen Titelgeschichte Ohrringe zu Glücksbringern werden. Der fremde und verfremdende Blick ist auch der Protagonistin von »Das nackte Auge« (2004) zu eigen, einer Vietnamesin, die ungewollt nach Paris gerät, ohne Französisch zu verstehen. Alles beginnt nun unverständlich und geheimnisvoll zu ihr zu sprechen – Gesten, Gesichter, Dinge, Buchstaben –, während sie selbst sprachlos bleibt. Indem die enigmatischen Zeichen unvermutete Verbindungen eingehen, verwandelt sich die Wirklichkeit in eine Traumwelt. Metamorphosen sind auch das Thema von »Opium für Ovid« (2000), in dem westliche Literaturtradition mit östlichem Blick betrachtet wird. Es überrascht nicht, dass die Autorin (in dem Prosastück »Zürich«, 1997) auf den Dadaismus anspielt oder auf einer Vortragsreise über Ernst Jandl spricht. Nach »Überseezungen« (2002) sowie »Sprachpolizei und Spielpolyglotte« (2007) erschien 2016 »akzentfrei«, Tawadas vierter Band mit literarischen Essays. Nach ihrer Hamburger Gastprofessur für Interkulturelle Poetik veröffentlichte sie 2012 den Vorlesungsband »Fremde Wasser«. In ihren jüngsten Romanen »Etüden im Schnee« (2014) und »Ein Balkonplatz für flüchtige Abende« (2016) lässt sie zum einen Tiere sprechen, darunter drei Generationen von Eisbären, und spürt zum anderen den Geheimnissen von Räumen, Straßen und Landschaften nach.
Tawada wurde vielfach geehrt, u. a. mit der Goethe-Medaille, dem Erlanger Literaturpreis für Poesie als Übersetzung sowie dem Kleist-Preis, und sie erhielt zahlreiche Stipendien. Aus ihrer Zusammenarbeit mit der Jazzpianistin Aki Takase entstand eine CD. Die Autorin lebt in Berlin.
Nur da wo du bist da ist nichts
Konkursbuch
Tübingen, 1987
[Ü: Peter Pörtner]
Tintenfisch auf Reisen
Konkursbuch
Tübingen, 1994
[Ü: Peter Pörtner]
Talisman
Konkursbuch
Tübingen, 1996
Opium für Ovid
Konkursbuch
Tübingen, 2000
Überseezungen
Konkursbuch
Tübingen, 2002
Das nackte Auge
Konkursbuch
Tübingen, 2004
Sprachpolizei und Spielpolyglotte
Konkursbuch
Tübingen, 2007
Fremde Wasser
Konkursbuch
Tübingen, 2012
Etüden im Schnee
Konkursbuch
Tübingen, 2014
akzentfrei
Konkursbuch
Tübingen, 2016
Ein Balkonplatz für flüchtige Abende
Konkursbuch
Tübingen, 2016