Yann Martel
- Spanien
- Zu Gast beim ilb: 2010
Yann Martel wurde 1963 im spanischen Salamanca geboren. Er wuchs als Sohn einer kanadischen Diplomatenfamilie in unterschiedlichen Ländern auf. Während seines Philosophiestudiums in Peterborough, Ontario, jobbte er unter anderem als Baumpflanzer und Security Guard – und verbrachte mehrere Monate in der Türkei und Indien. Nach dem Studium beschloss Martel, Schriftsteller zu werden, und bereiste weitere 13 Monate lang den indischen Subkontinent.
1993 debütierte der Autor mit dem Kurzgeschichtenband »Seven Stories − The Facts behind the Helsinki Roccamatios« (1993; dt. »Die Hintergründe zu den Helsinki-Roccamatios«, 2005). Die Grundideen seines Schaffens sind in diesem Werk bereits sichtbar. Insbesondere liegt fast jeder der Storys eine philosophische Problemstellung zugrunde. In der titelgebenden Erzählung wird die Sprache des Erzählers zum Atem, Schreiben wird gleichgestellt mit Leben. Wie eine postmodern transformierte Scheherazade hält der Protagonist durch die Fabeln über einen finnischen Familienclan seinen aidskranken Freund am Leben. Existenzielle Themen wie Tod, Freiheit und Spiritualität werden behandelt und an verschiedenen Figurenkonstellationen durchexerziert. Religion und der Sinn des Lebens stehen auch bei Martels erfolgreichstem Werk »Life of Pi« (2001; dt. »Schiffbruch mit Tiger«, 2003) im Fokus. Oberflächlich betrachtet handelt es sich um einen Abenteuerroman: Pi, der Sohn eines Zoodirektors, erleidet mit einem Orang-Utan, einem verletzten Zebra, einer Hyäne und einem bengalischen Königstiger namens Richard Parker Schiffbruch. Ein Kampf auf Leben und Tod entbrennt, der als Blaupause für unterschiedliche Lebens- und Glaubensvorstellungen gesehen werden kann. Die verschiedenen Ebenen sind virtuos miteinander verknüpft, können aber auch für sich gelesen werden. Der Autor lässt uns die Wahl, »ob wir ihm ohne Referenzzwang einfach in die fantastische Welt der Sprache folgen, ob wir bei der Symbolik bleiben wollen oder den Dingen ihren realen Kern abzutrotzen versuchen«, so Ulrich Sonnenschein in der »Frankfurter Rundschau«. Nach der Kurzgeschichte »We Ate the Children Last« (2004) erschien zuletzt mit Martels neuem Roman »Beatrice and Virgil« (2010; dt. »Ein Hemd des 20. Jahrhunderts«) sein Versuch, die Unfassbarkeit des Holocaust literarisch auszudrücken. Hauptpersonen des Bandes sind der Schriftsteller Henry T. als Alter Ego des Autors und ein Tierpräparator, der ein parabelhaftes Theaterstück über einen Affen und einen Esel verfasst hat.
Yann Martel erhielt eine Reihe von literarischen Auszeichnungen, darunter 2002 den Man Booker Prize. Der Schriftsteller lebt mit seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn in Saskatoon, Kanada.
Selbst
Volk und Welt
Berlin, 1997
[Ü: Nicole Cyr und Peter Kleinhempel]
Schiffbruch mit Tiger
S. Fischer
Frankfurt/Main, 2003
[Ü: Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié]
Die Hintergründe zu den Helsinki-Roccamatios
S. Fischer
Frankfurt/Main, 2005
[Ü: Manfred Allié]
We Ate the Children Last
Canongate Books
Edinburgh, 2004
Ein Hemd des 20. Jahrhunderts
S. Fischer
Frankfurt/Main, 2010
[Ü: Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié]