Wolfgang Hilbig wurde 1941 in Meuselwitz, einem Industriestädtchen im sächsischen Braunkohlerevier, geboren. Er wuchs als Halbwaise in der Bergarbeiterfamilie seines Großvaters auf, da sein Vater bei Stalingrad gefallen war. Ausgebildet zum Bohrwerkdreher, arbeitete Hilbig nach seinem Wehrdienst in der Volksarmee zunächst als Heizer. Später schlug er sich als Werkzeugmacher, Erdarbeiter, Außenmonteur, Hilfsschlosser und Aufräumer in einem Ausflugslokal durch.
Als Schriftsteller fiel Hilbig erstmals im Rahmen eines »Zirkels schreibender Arbeiter« auf, an den ihn sein Betrieb 1967 delegiert hatte. Seine Lyrik fügt sich nicht den Gesetzen des sozialistischen Realismus, sondern verstört durch ihre eigenständige Metaphernsprache. Überdies hatte Hilbigs Arbeiter-Ich die Entfremdung noch keineswegs – wie es die Ideologen wollten – überwunden. Entdeckt wurde der Dichter daher zunächst in Westdeutschland. Hier erschien 1979 sein erster Gedichtband, »abwesenheit«, der ihm einige Wochen Untersuchungshaft und eine Geldstrafe wegen »Devisenvergehens« eintrug.
Dank der Unterstützung des Nationalpreisträgers Franz Fühmann, der den jungen Lyriker in einem Atemzug mit Rimbaud und Novalis nannte, wurden in den folgenden Jahren einige Erzählungen und Gedichte Hilbigs auch in der DDR gedruckt. Euphorisch begrüßt wurde der Schriftsteller vor allem in der BRD; schnell etablierte sich der Vergleich mit Kafka. Den Brüder-Grimm Preis der Stadt Hanau durfte Hilbig 1983 noch persönlich entgegennehmen, den Förderpreis der Akademie der Künste Berlin 1985 nicht mehr. Neben weiteren Gedichten entstanden Prosaarbeiten größeren Umfangs, etwa 1985 »Der Brief« oder 1986 »Die Territorien der Seele«, die ausschließlich im Westen erschienen. 1987 wurde der unbequeme Arbeiterdichter schließlich »auf sanfte Art aus dem Land befördert« (Hilbig): Er erhielt ein Visum. 1989 erschien unter dem Titel »Eine Übertragung« Hilbigs erster Roman, der noch im selben Jahr mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde. Die Erzählung »Alte Abdeckerei« (1991) wurde von der Kritik einhellig als gültigste Metapher auf das Ende der DDR gerühmt. Nach dem gefeierten Roman »Ich« (1993) dauerte es einige Jahre, bis sich der Autor wieder in gewohnt ausdrucksstarker Weise zu Wort meldete. »So viel Wut und Hass hat selten einer gegen den Osten geschleudert – und selten wurde soviel Galle und Hohn über den Westen gekippt«, schrieb Ingo Schulze über Hilbigs letzten Roman, »Das Provisorium« (2000). Euphorische Kritik wurde dem Dichter trotz »Schreibkrise« bis zuletzt zuteil. So eröffnete Ursula März ihre Rezension in der »Zeit« mit den Worten: »Was für ein Potenzial! Wahrscheinlich kann im Moment nur Wolfgang Hilbig den Lesern mit Sprache, mit seinen Satzperioden und Paraphraseschüben in einen derartigen Rauschzustand versetzen – ohne gegen die Wiedererinnerungs- und Abbildungsvereinbarungen des Realismus zu verstoßen.«
Hilbig wurde mit dem Peter-Huchel- und mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Er war Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste. 2007 starb er in Berlin.
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