Vladimir Vertlib
- Russland
- Zu Gast beim ilb: 2010
Vladimir Vertlib wurde 1966 in einer russisch-jüdischen Familie in Leningrad (UdSSR, heute: St. Petersburg) geboren. Seine Eltern waren Mitglieder einer illegalen zionistischen Organisation. 1971 emigrierte die Familie und kam über Israel, die Niederlande, die USA und Italien 1981 schließlich nach Österreich. Vertlib studierte in Wien Volkswirtschaftslehre und erhielt 1986 die österreichische Staatsbürgerschaft. Er war freier Mitarbeiter der japanischen Presseagentur Kyodo News Service, danach Statistiker bei der Österreichischen Kontrollbank und machte sich 1993 als Schriftsteller, Journalist und Übersetzer selbstständig.
Seine Texte veröffentlichte er zunächst in Literaturzeitschriften. 1995 erschien sein erster Roman »Abschiebung«. Wie auch im darauffolgenden Roman »Zwischenstationen« (1999) setzt er sich darin mit den Erfahrungen von Heimat, Exil und Fremdsein auseinander. Beide Texte schildern die Versuche von Familien, die aus der Sowjetunion ausgereist sind, in anderen Ländern Fuß zu fassen. Vertlib ist dem realistischen Erzählen verhaftet und widmet sich mit seiner klaren, unprätentiösen Sprache anhand von Einzelschicksalen der Geschichte der russischen Juden im 20. Jahrhundert: »Das Wesentliche daran ist für mich, […] ob bzw. wie sich die Mischung aus Erlebtem, Hinzugedachtem und Assoziiertem zu einem exemplarischen Fall verdichtet und somit für den Leser zu einem Spiegel − auch einem Zerrspiegel − der eigenen Gefühle, Erfahrungen, Ängste und Sehnsüchte wird.« In seinem 2001 erschienen Roman »Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur« steht die Lebensgeschichte einer 92-jährigen Jüdin aus Weißrussland im Mittelpunkt. Erzählt wird von ihrer Kindheit im jüdischen Schtetl, der Blockade Leningrads, den Repressionen innerhalb der sowjetischen Gesellschaft bis hin zur Emigration nach Deutschland in der Zeit der Perestroika. In seinem Destillat europäischer Geschichte zur Zeit ihrer großen Verwerfungen lässt Vertlib den Lebensbericht der alten Frau so realistisch klingen, dass er an die literarischen Zeugnisse von Zeitzeuginnen wie Jewgenija Ginsburg oder Lydia Tschukowskaja erinnert. In seinem jüngsten Roman »Am Morgen des zwölften Tages« (2009) bettet Vertlib die Liebesgeschichte einer Deutschen zu einem Muslim in den größeren konfliktträchtigen Zusammenhang der schwierigen Beziehungen zwischen Orient und Okzident, zwischen Christentum, Judentum und Islam.
Vladimir Vertlib wurde u. a. mit dem Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis 2001 und dem Anton-Wildgans-Preis der Stadt Wien 2002 ausgezeichnet. Der Autor lebt in Salzburg.
Zwischenstationen
Deuticke
Wien, 1999
Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur
Deuticke
Wien, 2001
Letzter Wunsch
Deuticke
Wien, 2003
Mein erster Mörder
Lebensgeschichten
Deuticke
Wien, 2006
Am Morgen des zwölften Tages
Deuticke
Wien, 2009