Vivek Shanbhag
- Indien
- Zu Gast beim ilb: 2018
Vivek Shanbhag wurde 1962 in einer kleinen Küstenstadt im indischen Bundesstaat Karnataka geboren. Er durchlief eine Ausbildung zum Ingenieur und wurde Manager bei einem internationalen Konsumgüterunternehmen. Seine Tätigkeit führte ihn auf weite Reisen durch sein Land und ermöglichte ihm einen tiefen Einblick in das moderne Indien und die Probleme des raschen Wirtschaftswachstums.
Vivek Shanbhag hat fünf Kurzgeschichtenbände, drei Romane und zwei Dramen veröffentlicht, alle verfasst in der südindischen Sprache Kannada. Der Autor, der gleichermaßen gut das Englische, eine wichtige Literatursprache in Indien, beherrscht, begründet seine Wahl des Kannada folgendermaßen: »Musik, Tanz, Volkslieder, Märchen und Sprichwörter werden aus der Sprache der Straße geboren, die sehr tief im Alltag der Menschen verwurzelt ist. Für mich als Autor ist es sehr wichtig, in diese Sprache einzutauchen, wenn ich die Nuancen dieser Welt erfassen möchte. So blieb mir nichts anderes übrig, als auf Kannada zu schreiben. Englisch ist nicht die Sprache der Straße, nirgendwo in Indien.« »Ghachar Ghochar« (2013; dt. 2018) ist der erste Roman von ihm, der auf Deutsch erscheint. Er wurde in 16 Sprachen weltweit übersetzt und von der Kritik hoch gelobt. Die von Shanbhag beobachteten gesellschaftlichen Veränderungen in Indien hatten zweifellos Einfluss auf die Figurenzeichnung in seinem Roman. Als der Onkel des jungen Erzählers in den Handel mit Gewürzen einsteigt, verändert dieser Umstand über Nacht das Schicksal der ganzen Familie. Der einst mittellose Clan zieht in ein großzügiges Haus in einer reichen Wohngegend, bekommt neue Möbel und einen neuen Bekanntenkreis. Doch mit dem plötzlichen Reichtum werden auch die Abhängigkeiten neu verteilt: An dem Erfolg des Onkels hängt nun das gesamte Wohl der Familie, das es unbedingt zu schützen gilt, notfalls auch vor den eigenen Familienmitgliedern. In einem feinen Wechselspiel von Auslassungen und Andeutungen erzählt Vivek Shanbhag vom moralischen Verfall einer indischen Familie. »Es stimmt, was man sagt – nicht wir kontrollieren das Geld, sondern das Geld uns. Wenn es wenig Geld gibt, ist es ganz kleinlaut, doch je mehr davon da ist, desto dreister wird es und desto stärker packt es uns am Kragen«, resümiert der Sohn das Dilemma seiner Familie, aus dessen Perspektive die fesselnde und humorvolle Geschichte von Abhängigkeit, Liebe und moralischem Niedergang sowie von den psychologischen Verwicklungen einer Familie erzählt wird, die überdies die Geschichte eines ganzen Landes reflektiert.
»Ghachar Ghochar« wurde von »The New York Times« auf ihre Kritikerliste für das beste Buch des Jahres 2017 aufgenommen, stand auf der Longlist für den International Dublin Literary Award 2017 und war Finalist beim Los Angeles Times Book Prize 2018. Shanbhag war 2016 Gast des International Writing Program der University of Iowa und lebt in Bangalore.
Ghachar Ghochar
Aufbau
Berlin, 2018
[Ü: Daniel Schreiber]