Vénus Khoury-Ghata
- Libanon
- Zu Gast beim ilb: 2005
Vénus Khoury-Ghata wurde 1937 im nordlibanesischen Bcharré geboren. Sie wuchs mit drei Geschwistern in einem christlichen Beiruter Viertel auf. Ihre Muttersprache war Arabisch, während ihr Vater die französische Sprache und Kultur vorzog. So verliefen ihre ersten Schreibversuche denn auch »auf Französisch von links nach rechts und auf Arabisch von rechts nach links«, um sich – wie die Autorin sagt – auf verbotene und inzestuöse Weise in der Mitte zu treffen. Obwohl sie sich schließlich für die französische Sprache entschied, leben arabische Rhythmen und Tropen weiter in Khoury-Ghatas Werken. Sie erfahren in der Übersetzung eine Art von Heimkehr: »Meine Gedichte, die ich auf Französisch schreibe, kehren zu ihrer Muttersprache zurück, wenn sie ins Arabische übersetzt werden. Sie klingen, als seien sie ursprünglich auf Arabisch geschrieben worden.« Kurz nach der Veröffentlichung ihrer ersten Gedichte wurde Khoury-Ghata zur »Miss Libanon« gewählt und heiratete bald einen angesehenen Moslem, mit dem sie drei Kinder hat. Mit den Jahren widmete sie sich immer mehr dem Schreiben. Noch vor dem Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs folgte sie 1973 ihrem zweiten Ehemann, einem Franzosen, nach Paris.
Bislang hat Khoury-Ghata mehr als 25 Gedichtbände und Romane veröffentlicht. Ins Deutsche übersetzt wurden »Les fiancées du cap Ténès« (1996; dt. »Die Verlobten vom Kap Ténès«, 1998), »Bayarmine« (1987; dt. »Bayarmine. Ein Haremsroman«, 1990) und »La maîtresse du notable« (1991; dt. »Die Geliebte des Notablen«, 1994), der mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet wurde. Die Geschichte erzählt von den Bewohnern eines Hauses an der Demarkationslinie zwischen einem christlichen und einem islamischen Viertel in einer libanesischen Stadt nach dem Ende des Bürgerkriegs. Nachdem die Titelfigur aus den beengenden Verhältnissen ausbricht, um jenseits der Grenzlinie als Geliebte eines moslemischen Würdenträgers zu leben, beginnt ein Kleinkrieg, während dessen die verlassene Hausgemeinschaft zunehmend in Trostlosigkeit versinkt. Mit klarer Diktion, die bisweilen ironisch oder gar zynisch und unbarmherzig klingt, beschreibt Khoury-Ghata die Erfahrung von Ausweglosigkeit und Verlust. Diese Themen bilden auch das zentrale Motiv ihrer Gedichte, expressiver und düsterer Tableaus von surrealistischer Fremdheit, die eine Vielzahl an Deutungen evozieren.
Khoury-Ghata erhielt zahlreiche Preise, darunter den Prix Mallarmé für »Monologue du mort« (1986; Ü: Monolog des Toten), den Prix des Gens des Lettres für »Fables pour un peuple d’argile« (1992; Ü: Fabeln für ein Volk aus Ton) und den Prix Baie des Anges für »Le Moine, l’Ottoman et la femme du grand argentier« (2003; Ü: Der Mönch, der Osmane und die Frau des Finanzministers). Im Jahr 2000 wurde sie in den Stand eines Ritters der Ehrenlegion erhoben. Sie ist Mitglied literarischer Preiskomitees und arbeitet für Hörfunk und Zeitungen. Khoury-Ghata lebt in Paris.
© internationales literaturfestival berlin
Le fils empaillé
Belfond
Paris, 1980
Les morts n’avaient pas d’ombre
Flammarion
Paris, 1984
Monologue du mort
Belfond
Paris, 1986
Mortemaison
Flammarion
Paris, 1986
Les fugues d’Olympia
Ramsay
Paris, 1989
Bayarmine
Fischer
Frankfurt/Main, 1990
Übersetzung: Widulind Clerc-Erle
Fables pour un peuple d´argile
Belfond
Paris, 1992
Die Geliebte des Notablen
Horlemann
Unkel/ Rhein, 1994
Übersetzung: Sigrid Köppen
Anthologie personelle
Actes Sud
Arles, 1997
Die Verlobten vom Kap Ténès
Artemis & Winkler
Düsseldorf, Zürich, 1998
Übersetzung: Sigrid Köppen
Elle dit
Balland
Paris, 1999
Le Moine, l´Ottoman et la femme du grand argentier
Actes Sud
Arles, 2003
Quelle est la nuit parmi les nuits
Mercure de France
Paris, 2004
La maison aux orties
Actes Sud
Arles, 2006
Übersetzer: Wildulind Clerc-Erle, Sigrid Köppen, Stefan Weidner