Valerio Magrelli
- Italien
- Zu Gast beim ilb: 2016
Valerio Magrelli wurde 1957 in Rom, Italien, geboren und schloss an der dortigen Universität ein Studium der Philosophie ab. Seine in einer Promotion vertiefte Expertise in französischer Sprache und Literatur brachte er zunächst als Dozent an der Universität Pisa ein; aktuell ist er Professor auf diesem Gebiet an der Universität von Cassino.
Mit 23 Jahren trat Magrelli dann mit seinem Gedichtband »Ora serrata retinae« (Ü: Kreisrunde Übergangslinie vom sehenden zu dem blinden Teil der Netzhaut) selbst literarisch in Erscheinung und erregte gleich großes Aufsehen. Als Übersetzer von Werken französischer Schriftsteller wie Valéry, Verlaine und Debussy ins Italienische sieht Magrelli, so interpretiert es der amerikanische Verleger sowie Poet Jonathan Galassi, auch die Dichtung als eine Über-Setzung in Sprache, mit der er daher gern spielt. Als Kenner der Traditionen seines Handwerks schreibt Magrelli oft über das Schreiben und legt dabei das Innenleben von Worten frei, wie etwa in seinem, typisch frechen, Akrostichon über Dante, der nicht nur für italienische Autoren die »DNA of poETry« (Ü: DNA der Poesie) sei. Neben weiteren Lyriksammlungen, darunter »Nature e venature« (1987; Ü: Natur und Äderungen), »Disturbi del sistema binario« (2006; Ü: Störungen im binären System) und zuletzt »Il sangue amaro« (2014; Ü: Bitteres Blut) veröffentlichte Magrelli 1992 den Prosaband »Il viaggetto« (Ü: Die Reise) und 2005 das poetologische Wörterbuch »Che cos’è la poesia? La poesia raccontata ai ragazzi in ventuno voci« (Ü: Was ist Dichtung? Den Jungen erzählt in 21 Einträgen). 2010 unternahm dann der Verlag Farrar Straus Giroux den Versuch, den italienischen Poeten durch den vom Dichter Jamie McKendrick übersetzten bilingualen Band »Vanishing Points« (Ü: Fluchtpunkte), einer Zusammenstellung von Gedichten aus allen Büchern, die Magrelli seit 1980 veröffentlicht hatte, in den Vereinigten Staaten bekannter zu machen. Der Literaturkritiker Daniel Bosch sieht darin die Quintessenz des Schaffens von Magrelli: kurze Texte in freien Versen, die nicht effekthaschend sind, sondern ruhig und bedacht über die Zeit ihre Wirkung entfalten. Trotz seiner Stellung als Professor, der als Literaturkritiker mitunter ein ganzes Buch darauf verwendet, ein einzelnes Gedicht von Charles Baudelaire zu besprechen, ist Magrellis Position als Poet nicht die eines Wissenden, sondern die eines Zweifelnden, der sich Zweideutigkeiten mit Respekt annähert, anstatt sie mit klaren wissenschaftlichen Begriffen zu fassen zu versuchen. Intellektuelle und emotionale Herausforderungen werden so nicht als lösbar dargestellt, sondern überhaupt erst in Worte gefasst und dadurch der Reflexion zugänglich.
Als Herausgeber ist Magrelli seit 1993 bei dem Verlag Einaudi für die dreisprachige Reihe »Scrittori tradotti da scrittori« (Ü: Schriftsteller von Schriftstellern übersetzt) verantwortlich. Er lebt in Rom.
Ora serrata retinae
Feltrinelli
Mailand, 1980
Il viaggetto
L’Obliquo
Brescia, 1992
Che cos’è la poesia?
La poesia raccontata ai ragazzi in ventuno voci
Luca Sossella
Bologna, 2005
Vanishing Points
Farrar Straus Giroux
New York, 2010
[Ü: Jamie McKendrick]
Il sangue amaro
Einaudi
Turin, 2014