Valérie Dayre
- Frankreich
- Zu Gast beim ilb: 2006
Valérie Dayre wurde 1958 in Frankreich geboren. 1989 veröffentlichte sie mit »Miranda s’en va« (Ü: Miranda geht fort) ihr erstes Buch. Seitdem sind von ihr mehr als fünfzehn hochgelobte Kinder- und Jugendromane sowie Bilderbücher erschienen, die ins Deutsche, Spanische, Italienische und Niederländische übersetzt wurden.
In ihren herausfordernden Texten beleuchtet Valérie Dayre die Unergründlichkeit kindlicher Vorstellungswelten und das dynamische Beziehungsgefüge zwischen Kindern und Eltern. Sie thematisiert die Ängste der jungen Seele, die Furcht vor dem Verlassenwerden und der Einsamkeit. Danach gefragt, ob ihre Bücher »schonungslos« seien, entgegnet die Autorin: »Man kann viel in dieses Adjektiv hineininter pr etieren: Sagen wir einfach, dass meine Bücher, selbst wenn sie ein versöhnliches Ende haben, aufwühlend und erschütternd sind. So muss Literatur für mich sein. Wenn ich ein Buch beendet habe, muss es mich verändert, intelligenter und sensibler gemacht haben.« Dayre beschreibt die Welt aus dem Blickwinkel ihrer jungen Protagonisten, so dass der Leser das Geschehen wie durch ein deformiertes Prisma wahrnimmt und sich in einem Spiel aus Phantasie, Traum und Wirklichkeit verliert. In ihren raffiniert komponierten Romanen, die wie Vexierspiegel sind, führt sie auf falsche Fährten und legt Fallen aus.
Ihr Kinderroman »C’est la vie, Lili« (1991; dt. »Lilis Leben eben«, 2005) erzählt die Geschichte der zwölfjährigen Lili, die von ihren Eltern auf dem Weg in die Sommerferien an einer Autobahnraststätte zurückgelassen wird. Das Geschehen entfaltet sich in Form von Tagebucheintragungen der Ich-Erzählerin, die in einem beinahe emotionslosen Ton über ihr Leben, ihre Eltern und ihren wochenlangen Aufenthalt auf der Raststätte berichtet. Lilis Sommertagebuch ist das Drama eines Kindes, welches das Ende seiner Kindheit nahen sieht. In die aggressive Überzeichnung ihrer Eltern fließen ihre ganze Traurigkeit und Wut ein. Mehr und mehr verstrickt sich das Mädchen in ein Geflecht aus Wahrheit und Lüge, und es obliegt dem Leser, die verschiedenen Wahrnehmungsebenen zu entwirren. Zu Valérie Dayres bekanntesten Werken gehört »L’Ogresse en pleurs« (1996; dt. »Die Menschenfresserin«, 1996), das die verstörende Geschichte einer rasenden und einsamen Mutter erzählt, die unwiderstehlichen Appetit auf ein Kind verspürt. Versessen streift sie durch das Land, um schließlich ihr eigenes Kind zu verschlingen. In dem düster-faszinierenden Bilderbuch, kongenial illustriert von Wolf Erlbruch, erzählt die Autorin ein grausam anmutendes, modernes Märchen von der menschlichen Gier und der Idee des Bösen. »Die Menschenfresserin« ist ein Bilderbuch über die bedrohliche Nähe zwischen Kindern und Eltern und ein Plädoyer für eine Liebe mit Achtung – »ein Bilderbuch, das das Fremde in uns selbst sichtbar macht, das unter die Haut geht und ins Herz trifft«, schrieb die »Süddeutsche Zeitung«.
Für »C’est la vie, Lili« erhielt Valérie Dayre 1992 den Prix Sorcière, in deutscher Übersetzung wurde der Roman als Sieger in der Kategorie Kinderbuch mit dem Deutschen Jugendliteratur pr eis 2006 ausgezeichnet. Zuletzt erschien Dayres Roman für Erwachsene, »Tous les hommes qui sont ici« (2006; Ü: Alle Menschen, die hier sind). Als Übersetzerin aus dem Englischen übertrug sie u.a. einen Jugendroman des Australiers John Marsden. Die Autorin lebt in der zentralfranzösischen Provinz Berry.
© internationales literaturfestival berlin
Die Menschenfresserin
Peter Hammer
Wuppertal, 1996
[Ü: Gudrun Honke und Max Christian Graeff]
[Ill: Wolf Erlbruch]
Le jour où on a mangé l’écrivain
Ecole des loisirs
Paris, 1997
Miranda s’en va
Ecole des Loisirs
Paris, 2000
Les nouveaux malheurs de Sophie
Ecole des Loisirs
Paris, 2001
Dimanche, Gaspard s’amuse
Ecole des Loisirs
Paris, 2003
Retour en Afrique
Ecole des Loisirs
Paris, 2004
Lilis Leben eben
Carlsen
Hamburg, 2005
[Ü: Maja von Vogel]
Tous les hommes qui sont ici
L’atelier du poisson soluble
Le Puy-en-Velay, 2006
Virus
La Joie de lire
Genf, 2007