Valère Novarina
Der Dramatiker, Theatertheoretiker und Maler Valère Novarina wurde 1947 in Chêne-Bougeries bei Genf (Schweiz) als Sohn des Architekten Maurice Novarina und der Schauspielerin Manon Trolliet geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Thonon-les-Bains in der Region Haute-Savoie, er studierte an der Sorbonne Philosophie und Philologie. Seit 1958 schreibt Novarina täglich. 1974 wurde sein erstes Stück »L’atelier volant« (Ü: Die fliegende Werkstatt) in der Inszenierung von Jean-Pierre Sarrazac uraufgeführt. Seit 1986 inszenierte er fast alle seine Uraufführungen selbst, meist im Rahmen des Festival d’Automne in Paris und des Festival d’Avignon, darunter »La Scène« (Ü: Die Szene), »L’Acte inconnu« (Ü: Der unbekannte Akt), zuletzt »Le vrai Sang« (Ü: Das wahre Blut) am Odéon – Théâtre de l’Europe in Paris.
Novarina wurde mit seiner Nähe zur »Art Brut« zu einer einzigartigen Stimme des französischen Theaters. Seine Texte stehen in der Tradition von François Rabelais bis Alfred Jarry, es gibt Referenzen an den Zirkus, an clowneske Jahrmarktsvorstellungen und das japanische Nō-Theater. Patrice Chéreau nannte ihn den wichtigsten Gegenwartsdramatiker Frankreichs nach dem Tod von Bernard-Marie Koltès. Stilistisch verwendet er zahlreiche Neologismen und Aufzählungen, geht frei mit grammatikalischen Regeln um, lässt Kinder- und Stegreifverse in seine Texte einfließen, zitiert Werbesprüche, politische Parolen, geflügelte Worte – kurz, Novarina bedient sich exzessiv des gesamten Sprachfundus und kreiert daraus eine überaus lebendige Sprache, die eine bloße Funktion als Verständigungsmittel weit übersteigt. In seinem Buch »Lumières du corps« (2006, dt. »Lichter des Körpers«, 2011) reflektiert er in 421 Fragmenten über das Schauspiel, den Raum und das gesprochene Wort und rückt mit Bezug auf Antonin Artaud die Physis in den Mittelpunkt der theatralischen Darstellung. 2005 erschien »La chair de l’homme« (Ü: Das Fleisch des Menschen; darin: »Au dieu inconnu«, dt. »311 Gottesdefinitionen«, 2012), das mit 525 Seiten bisher umfangreichste Werk Novarinas. Sein theatraler Gottesbeweis ist der endlose Versuch, an der Grenze aller Vorstellungskraft das Unsagbare in Worte zu fassen. Dabei zitiert er Autoren von der Antike bis heute, Mystiker und Kirchenväter verschiedener Religionen, Gläubige und Agnostiker. Novarina bezieht mit diesem Text Stellung zur neuen Religiosität der Gegenwart und begreift diese weniger als Ideologie denn als Abenteuer menschlichen Sprachvermögens.
Basierend auf den Texten von Valère Novarina, wurden drei Spielfilme realisiert, darunter » Nouvelle vague« (1990) von Jean-Luc Godard. Seit 2006 gehören seine Stücke zum offiziellen Repertoire der Comédie Française. 2003 erhielt er für »L’Origine Rouge« (2000; dt. »Der rote Ursprung«, 2003) den Prix Marguerite Duras und wurde darüber hinaus u. a. mit dem Grand Prix du Théâtre de l’Académie française ausgezeichnet. Valère Novarina lebt in Paris und auf seinem Chalet in der Haute-Savoie.
Brief an die Schauspieler
Alexander Verlag
Berlin, 1998
[Ü: Katja Douvier u. Leopold von Verschuer]
Die eingebildete Operette
Alexander Verlag
Berlin, 2001
[Ü: Leopold von Verschuer]
Der rote Ursprung
In: Scène, n°6, Neue französische Theaterstücke
Verlag der Autoren
Berlin, 2003
[Ü: Leopold von Verschuer]
Lichter des Körpers
Matthes & Seitz
Berlin, 2011
[Ü: Leopold von Verschuer]
311 Gottesdefinitionen
Matthes & Seitz
Berlin, 2012
[Ü: Leopold von Verschuer]
www.novarina.com