Ulrich Peltzer
- Deutschland
- Zu Gast beim ilb: 2002, 2008
Ulrich Peltzer wurde 1956 in Krefeld geboren und kam mit 18 Jahren nach Berlin, wo er Philosophie und Psychologie studierte. 1987 veröffentlichte er seinen Debütroman »Die Sünden der Faulheit«. Sein seitdem auf vier Romane und eine Erzählung angewachsenes Werk wurde u.a. mit dem Anna-Seghers-Preis, dem Preis der SWR-Bestenliste, dem Bremer Literaturpreis und dem Berliner Literaturpreis, der Peltzer zweimal zugesprochen wurde, ausgezeichnet.
Realistisch, doch ohne naturalistische Prätentionen versucht Ulrich Peltzer der modernen, westlichen Großstadt auf den Grund zu gehen. Bereits »Die Sünden der Faulheit«, ein in Berlin angesiedelter Kriminalroman, versteht sich als kritische Gesellschaftsanalyse, ohne jedoch das sichere Format einfacher Parteinahme zu wählen. Sein viel beachteter, umfangreicher Roman »Stefan Martinez« (1995) ist ein sprühendes Feuerwerk von Berlin-Impressionen, die ein äußerst ambivalentes Bild der Stadt im Umbruch ergeben. Der Leser stürzt mit der Handlung durch ein »geometrisches Muster der Straßen. Abzählbar unendlich viele Möglichkeiten, um zur U-Bahn zurückzugelangen.«
Weniger voluminös, aber ebenso eindringlich erzählt auch »Alle oder keiner« (1999) vom Verschwinden des Einzelnen im Nirgendwo der Geschichte. Das Buch thematisiert die Generation der »78er«, die Zwischengeneration, die zu jung für 68 und zu alt für Punk ist. So wird das Leben von Bernhard skizziert, der als Wissenschaftler an einem neuen Handbuch für forensische Psychologie arbeitet. Auch er schweift, wie der Held in »Stefan Martinez«, durch das nächtliche Berlin, aber die Hauptstadt ist nicht mehr die pulsierende Herausforderung, sondern auch Rückzugspunkt für eine Ankunft in der Realität. Erst die Frage »Wie ging die Geschichte?« einer schrillen, jungen TechnoPunk-Konzertbesucherin setzt Erinnerungen an vergangene Hoffnungen und Illusionen frei. Bernhard stellt sich seiner revoltierenden Vergangenheit, in der er glaubte, eine Sprache für die Beschreibung der Welt gefunden zu haben. Er versucht, den Verlust dieser Sprache zu rekonstruieren und einen Weg zu finden, ohne sie zu leben. »Bryant Park« (2002), Peltzers erste Erzählung, handelt von den (Un-)Möglichkeiten solcher literarischer Geschichtsaufarbeitung. Der Erzähler kommt nach New York, um in der Public Library die Biografie eines amerikanischen Autors in Tauf- und Pfarreiregistern des frühen 19. Jahrhunderts zu erforschen. Der Brüchigkeit moderner Identitäten verleiht Peltzer seinen eigenen, assoziativ-sprunghaften Stil. Der Leser blickt in ein von Reizen überflutetes Bewusstsein – bis der 11. September in die Szenerie einbricht.
»Teil der Lösung« (2007), Peltzers jüngster Roman, spielt wieder in Berlin. Die Figuren bewegen sich vor dem Hintergrund einer immer umfassenderen staatlichen Überwachung zwischen Arriviertheit und Protest, Terrorismus und postmodernen Theorien. Die Feuilletons berichteten einhellig mit Begeisterung. Ulrich Peltzer lebt in Berlin. 2008 hatte er die Heiner-Müller-Gastprofessur für deutschsprachige Poetik an der Freien Universität inne.
© internationales literaturfestival berlin
Die Sünden der Faulheit
Ammann
Zürich, 1987
Stefan Martinez
Ammann
Zürich, 1995
Alle oder keiner
Ammann
Zürich, 1999
Bryant Park
Ammann
Zürich, 2002
Teil der Lösung
Ammann
Zürich, 2007