Sjón (Sigurjón Birgir Sigurðsson), 1962 in Reykjavík geboren, trat schon als junger Mann in der literarischen Szene Islands in Erscheinung. Seine erste Gedichtsammlung »Sýnir« (1978; Ü: Visionen) veröffentlichte er im Alter von 15 Jahren. Bald folgten weitere Bände, die 1986 in der Sammlung »Drengurinn með röntgenaugum« (1986; Ü: Der Junge mit den Röntgenaugen) erneut aufgelegt wurden. Bis dahin hatte Sjón mit seinen im Eigenverlag publizierten Werken als Underground-Dichter bereits größere Bekanntheit erlangt.
In jener Zeit war er Mitglied von »Medusa«, einer vom Surrealismus geprägten Gruppe junger Künstler. Die Gedichte und Romane des Autors zeigen deutliche Spuren dieses Einflusses. Mit seinem dritten Romanwerk »Augu þín sáu mig« (1994; Ü: Deine Augen haben mich gesehen) und dem Nachfolgeband »Með titrandi tár« (2001; Ü: Mit einer zitternden Träne) gelang Sjón endgültig der Durchbruch als Romancier. In den beiden Büchern lässt Sjón das 20. Jahrhundert neu erstehen und setzt dabei verschiedene Erzählperspektiven und Elemente mehrerer literarischer und künstlerischer Genres ein, darunter isländische Sagen, internationale Fantasy-Literatur, Krimis, Filme und Cartoons. Das bekanntestes Werk Sjóns ist der Roman »Skugga-Baldur« (2003; dt. »Schattenfuchs«, 2007). Der kurze Band besteht aus knapp 120 Seiten, die teilweise nur wenige Absätze und manchmal sogar nur eine Zeile enthalten. Im charakteristisch straffen, präzisen und poetischen Duktus bewegt sich die Geschichte auf der Grenze zwischen Lyrik und Prosa. Die Handlung setzt sich aus drei Strängen zusammen. In einem folgen wir Baldur Skugasson auf einer Fuchsjagd durch die Kälte und Dunkelheit in den Bergen. Im zweiten lernen wir den Naturforscher Friðrik B. Friðriksson und Abba, ein Mädchen mit Downsyndrom, kennen, das von ihm aufgenommen wird und ihn schließlich mit ihrer Liebe vor einer drohenden Katastrophe rettet. Schließlich wird auch die Geschichte eines Schiffbruchs vor der isländischen Küste im Frühjahr 1868 erzählt. Die Schicksale der Protagonisten Friðrik, Abba und Baldur zeigen sich im Verlauf der Handlung als enger miteinander verbunden, als der Leser zunächst ahnt. Neben Gedichten und Romanen verfasst Sjón auch Kurzgeschichten, Kinderbücher, Theaterstücke und Songtexte für Musiker wie Björk und The Brodsky Quartet.
Sjón wurden diverse literarische Ehrungen zuteil. So erhielt er u. a. den Literaturpreis des Nordischen Rates und war in der Auswahlliste für den Independent Foreign Fiction Price. Zudem wurde er als einziger nordischer Schriftsteller für den Oscar nominiert – und zwar für die Liedtexte in Lars von Triers Film »Dancer in the Dark« (2001). Im akademischen Jahr 2007/2008 erhielt er die Samuel-Fischer-Gastprofessur an der Freien Universität. Er lebt zur Zeit in Berlin als Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. 2011 wird sein neuer Roman S. Fischer »Rökkurbýsnir« (dt. »Mysterien der Dämmerung«).