Sabina Berman
Sabina Berman wurde 1955 in einer Familie mit osteuropäisch-jüdischen Wurzeln in Mexico City geboren. Ihr Vater war in den 1930er Jahren während der Präsidentschaft von Lázaro Cárdenas nach Mexiko immigriert. An der Universidad Latinoamericana studierte Sabina Berman mexikanische Literatur und Psychologie und begann bereits während des Studiums mit dem Schreiben. Für ihre Theaterstücke wurde sie als erste Preisträgerin gleich viermal mit dem Premio Nacional de Teatro ausgezeichnet. Darüber hinaus trat sie selbst als Schauspielerin auf, führte Regie und verfasste zahlreiche Drehbücher, darunter für den Film »Backyard«, der bei den Oscars 2010 als bester fremdsprachiger Film nominiert war. »Backyard« widmet sich der Mordserie an Frauen in der nordmexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez. 1993 bis 2005 wurden dort die Leichen von 370 Frauen gefunden, 400 bis 600 Frauen werden noch vermisst, doch selbst auf internationalen Druck haben die Behörden die Fälle bis heute nicht aufklären können.
Sabina Bermans Texte zeichnen sich durch eine feministische Haltung aus und thematisieren die Komplexität und Vielschichtigkeit der Geschlechterbeziehungen. In ihren Stücken der neunziger Jahre, darunter »Villa y una mujer desnuda« (1993; Ü: Stadt und eine nackte Frau), »Crisis« (1996; Ü: Krise) und »La grieta« (1997; Ü: Der Riss) dominiert die Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen in Beziehungen und der großen Politik. So behandelte sie u. a. die Krise in Mexiko, die am 2. Oktober 1968 im Massaker von Tlatelolco gipfelte, als kurz vor Beginn der Olympischen Spiele 300 Studenten bei ihrem Protest von Polizisten getötet wurden. Die Figuren ihrer Stücke sind oft wenig konturiert, ein besonderes Mittel Bermans, um die Festgelegtheit von Identitäten infrage zu stellen. Durchgängig charakteristisch für ihren Stil sind Humor und Ironie, das Misstrauen gegenüber offiziellen Diskursen und der Bruch mit theatralen und sprachlichen Konventionen.
2010 erschien ihr Roman »La mujer que buceó dentro del corazón del mundo« (dt. »Die Frau, die ins Innerste der Welt tauchte«, 2011). Ausgehend von ihrer Erfahrung, dass Behinderte Menschen mit »andersartigen Fähigkeiten« sind, erzählt Sabina Berman hier die Geschichte einer Autistin, die zur erfolgreichen Geschäftsfrau wird. »Sie lebt nicht nach den Regeln der Standardmenschen. Sie ist zu 75 Prozent mit der Natur verbunden, nur 25 Prozent ihrer Aufmerksamkeit widmet sie den Menschen. Ich bewundere und beneide sie.« Ihre Protagonistin, einst ein verwahrlostes Kind, erbt eine Thunfischfabrik und setzt sich schließlich mit ihren Ideen zu einem artgerechten Thunfischfang durch, um das Leerfischen der Meere zu verhindern. Das Buch erschien in fünfundzwanzig Ländern.
Neben ihrer Arbeit als Schriftstellerin moderiert Sabina Berman für Televisión Azteca die Fernsehshow »Sha la lá«, in der sie Künstler, Politiker und Wissenschaftler interviewt, und schreibt für die Zeitung »Proceso« wöchentlich eine Kolumne. Sie lebt in Mexico City.
© internationales literaturfestival berlin
Teatro de Sabina Berman
Editores Mexicanos Unidos
Mexico City, 1985
Poemas de Aqua
Editorial Shanik
Mexico City, 1986
Lunas. Poesía narrativa
Editorial Katún
Mexico City, 1988
La bobe
Editorial Planeta
Mexico City, 1991
Die Frau, die ins Innerste der Welt tauchte
S. Fischer
Frankfurt a. M., 2011
[Ü: Angelica Ammar]