Ryszard Krynicki
- Polen
- Zu Gast beim ilb: 2003, 2017
Ryszard Krynicki wurde 1943 in Sankt Valentin (Lager Wimberg) in Österreich als Kind polnischer Zwangsarbeiter geboren. Nach seinem Studium der Polonistik an der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen arbeitete er als Bibliothekar und als Redakteur der Zeitschrift »Student«, die er jedoch aufgrund seines Engagements in der Bürgerrechtsbewegung verlassen musste. Krynicki ist einer der bedeutendsten Dichter der als Nowa Fala (Neue Welle) bekannt gewordenen Gruppe von Lyrikern, die sich in den späten sechziger Jahren in Opposition zur Ideologie und Sprache des herrschenden politischen Systems formiert hatte. Ende der siebziger Jahre wurde er deswegen mit einem mehrjährigen Publikationsverbot belegt. Der Lyriker hat viele Autoren aus dem Deutschen übersetzt, darunter Nelly Sachs, Paul Celan, Bertolt Brecht und Reiner Kunze, und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. 2000 mit dem Friedrich-Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kunst im Ausland.
Das Werk Ryszard Krynickis ist von einem auffälligen Bruch durchzogen. Die ersten Gedichte, die nach dem Debüt 1966 erschienen, zeichnen sich durch eine dichte Bildsprache und opulente Metaphorik aus, in der die Welt als schreckenerregendes Chaos erscheint. Unsicherheit und Angst prägen die Figuren, die sich in dieser Welt bewegen, Flucht wird als Ausweg erprobt. Sowohl inhaltlich als auch auf sprachlicher Ebene vollzieht Krynicki damit die Abwendung von der ideologisierten Gesellschaft und der ihr oktroyierten, vereinheitlichten Sprache. Dabei mündet diese Kritik jedoch nicht in Nihilismus und Verzweiflung, sondern hält »die durch äußeren Zwang und innere Verödung beständig gefährdeten Gewissen wach und hofft, damit das gestörte, krank gemachte Selbstwertgefühl zu heilen« (Karl Dedecius). Die neueren Texte (etwa in »Wunde der Wahrheit«, 1991) präsentieren sich dagegen sparsamer und lakonischer. Nur noch wenige Zeilen lang und in klarer Sprache formuliert, wirken sie im Vergleich zu den ersten Gedichten beinahe asketisch. Krynicki weist sich als unnachgiebiger Kritiker der Realität aus, als skeptischer Beobachter der Sprache und ihres poetischen wie politischen Potenzials. »Flucht«, so ein Kritiker zum Wandel in Krynickis Ton, »wurde ersetzt durch eine entschlossene spirituelle Pilgerreise.« Selbst seine älteren Gedichte unterzieht Krynicki einer grundlegenden Überarbeitung, minimiert die einst üppige Sprache – und bezeugt damit, dass ein Gedicht niemals fertig ist. 2017 erschien auf Deutsch »Sehen wir uns noch?« mit einer breiten Auswahl aus seinem Schaffen, von den widerständigen politischen bis zu seinen verknappten Gedichten der letzten Jahre, in denen Krynicki die ganze Schönheit und Vergänglichkeit der Welt zu bündeln vermag.
Krynicki lebt in Krakau, wo er zusammen mit seiner Frau den Verlag a5 leitet. Er ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste und der Polska Akademia Umiejętności.
Wydawnictwo Poznańskie
Poznań, 1969
Nasze życie rośnie
Instytut Literacki
Paris, 1978
Niepodlegli nicości
Niezależna Oficyna Wydawnicza
Warschau, 1988
Um niemanden zu verletzen
Tiessen
Neu-Isenburg, 1991
[Ü: Karl Dedecius]
Wunde der Wahrheit
Suhrkamp
Frankfurt a. M., 1991
[Ü: Karl Dedecius]
Magnetyczny punkt
CiS
Warschau, 1996
Stein aus der Neuen Welt
Rospo
Hamburg, 2000
[Ü: Esther Kinsky]
Kamień, szron
Wydawnictwo a5
Krakau, 2004
Przekreślony początek
Buiro Literackie
Kołobrzeg, 2013
Sehen wir uns noch?
Hanser
München, 2017
[Ü: Renate Schmidgall, Esther Kinsky u. Karl Dedecius]