Roberto Calasso
- Italien
- Zu Gast beim ilb: 2013
Roberto Calasso wurde 1941 in Florenz geboren, hat in Rom studiert und übernahm nach seiner Promotion in Englischer Literatur die Leitung des Mailänder Adelphi Verlags. Unter seiner Ägide wurde dieser zu einem der bedeutendsten unabhängigen Verlagshäuser Italiens. Ein nicht minder bemerkenswertes Profil hat sich Calasso als Schriftsteller erworben. Es ist durchaus singulär, weder durch literarische Gattungen bestimmt noch durch Trends, »Turns« oder Tendenzen (unmöglich, ihn wegen seines Gespürs für das Plumpe der Moderne zu einem Postmodernen zu erklären oder ihn wegen des Widerstands, auf den er bei bestimmten italienischen Linksintellektuellen stieß, als einen Rechten zu bezeichnen).
Ein Grundzug von Calassos Denken ist: Es sucht das Weite. Nicht im Sinne der Flucht, sondern der größtmöglichen Distanz zu dem, was die Neuzeit für selbstverständlich hält. Es genügt, den Käfig der Ratio ein wenig zu öffnen – dann stößt man zum Beispiel auf die Gestalt des Senatspräsidenten Daniel Paul Schreber, Zeuge einer verstörten Kosmologie, die ihm den Verstand geraubt und ein Licht aufgesteckt hat. Ihm hat Calasso 1974 mit »L’impuro folle« (dt. »Die geheime Geschichte des Senatspräsidenten Dr. Daniel Paul Schreber«, 1980) ein Denkmal gesetzt. In »La rovina di Kasch« (1983; dt. »Der Untergang von Kasch«, 1997) berief sich Calasso für seine Kritik des modernen Geistes auf eine andere suspekte Figur, den Fürsten Talleyrand. Mit »Le nozze di Cadmo e Armonia« (1988; dt. »Die Hochzeit von Kadmos und Harmonia«, 1990) vergrößerte sich die historische Distanz abermals und erlaubte es Calasso, durch neue erzählerische Mittel den (griechischen) Mythos aus dem Gehäuse der mythologischen Stereotypen zu befreien. Dabei ging es um etwas, was Calasso mit Autoren wie de Maistre oder Cioran verbindet: das Dementi des Dogmas, dass die Wege des Geistes auch die Wege des Fortschritts sind. Das wird weniger erklärt (Never explain!, lautet eine der Maximen Calassos) als vielmehr demonstriert. Auf Wegen, die zum indischen Mythos (»Ka«, 1996; dt. 1999) führen und zum vedischen Opferritual als dem unabgegoltenen Modell nicht nur des Kunstwerks, sondern eines jeden sinnvollen Handelns (»L’Ardore«, 2010). Drei Bücher Calassos haben klargestellt, dass sich Gegenpositionen zur Moderne auch innerhalb der Moderne selbst gewinnen lassen: durch eine Kafka-Interpretation (»K.«, 2002; dt. 2006), die Text und Leben als einen Text liest; durch eine Deutung Tiepolos, die der Helligkeit seiner Freskenwelt das Dunkel seiner Radierungen entgegensetzt (»Il rosa Tiepolo«, 2006; dt. »Das Rosa Tiepolos«, 2010), und durch einen Blick in die Hexenküche des 19. Jahrhunderts, in der Maler und Poeten das Zauberwesen der Analogie erprobten (»La Folie Baudelaire«, 2008; dt. »Der Traum Baudelaires«, 2012).
Im Unterschied zu den großen geistesverwandten Pessimisten gibt es bei Calasso kein Verdammungsurteil über die Gegenwart. Er will sich nicht einschüchtern lassen: Gegen einen vermeintlich unaufhaltsamen Prozess der Entzauberung unserer Welt hält er an den Göttern, dem Unsichtbaren fest, vor allem aber daran, dass die Gewalt des falschen Lebens nicht ausreicht, um die Möglichkeit des richtigen aus der Welt zu verbannen.
Die geheime Geschichte des Senatspräsidenten Dr. Daniel Paul Schreber
Suhrkamp
Frankfurt a. M., 1980
[Ü: Reimar Klein]
Die Hochzeit von Kadmos und Harmonia
Insel
Frankfurt a. M., 1993
[Ü: Moshe Kahn]
Die neunundvierzig Stufen
Hanser
München, 2005
[Ü: Joachim Schulte]
Das Rosa Tiepolos
Hanser
München, 2010
[Ü: Reimar Klein]
Der Traum Baudelaires
Hanser
München, 2012
[Ü: Reimar Klein]