Robert Menasse
- Österreich
- Zu Gast beim ilb: 2017
Robert Menasse wurde 1954 in Wien geboren. Sein jüdischer Vater war 1938 mit einem der letzten Rettungstransporte für Kinder nach England gelangt und nach Kriegsende nach Wien zurückgekehrt. Menasse studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft in Wien, Salzburg und Messina und promovierte 1980 mit einer Arbeit über den »Typus des Außenseiters im Literaturbetrieb«. 1976 war er Mitbegründer der Wiener Studentenzeitschrift »Zentralorgan herumstreunender Germanisten«. Bis 1988 arbeitete er als Lektor für österreichische Literatur und als Dozent am Institut für Literaturtheorie an der Universität São Paulo in Brasilien, wo er auch mit dem Schreiben begann.
1988 erschien sein Roman »Sinnliche Gewißheit«, der erste Teil der »Trilogie der Entgeisterung«, die Menasse 1991 mit »Selige Zeiten, brüchige Welt« fortsetzte und 1995 mit »Schubumkehr« und der Nachschrift »Phänomenologie der Entgeisterung« abschloss, teils Kriminal- und philosophischer Roman, teils jüdische Familiensaga. Mit ironischer Fabulierlust und zahlreichen Zitaten von Dichtern und Denkern der europäischen Geistesgeschichte führt Menasse die postmoderne Krankheit des Paraphrasierens vor, die kein Interesse am eigentlichen Geist des Paraphrasierten zeigt: »Das allgemeine Bewußtsein ist eine Klitterung aus Versatzstücken der Geschichte, gereinigt von Geschichte, aus Zitaten, gereinigt vom Geist des Zitierten, Kopien, ohne Bewußtsein vom Original, also Original-Kopien, Farcen, die die Tragödien vergessen haben, die sie perpetuieren.« In »Schubumkehr« schildert er die Zeitenwende Ende der achtziger Jahre am Beispiel eines Dorfes an der österreichisch-tschechischen Grenze. Der Roman, der 1999 mit dem Grimmelshausen-Preis ausgezeichnet wurde, verschaffte Menasse eine breite Aufmerksamkeit. 2001 erschien sein vielschichtiger Familienroman »Die Vertreibung aus der Hölle«, in dem Menasse das Leben seines entfernten Verwandten Rabbi Samuel Menasse aus dem Amsterdam des 17. Jahrhunderts mit einer Geschichte aus den 1960er und 70er Jahren verknüpft. Sein jüngster Roman »Die Hauptstadt« (2017), dessen Handlung in der Sphäre der Brüsseler EU-Institutionen angesiedelt ist, erzählt vom stillschweigenden Begräbnis »der Epoche der Scham«.
Auch als streitbarer Essayist trat Menasse in Erscheinung. Seine kulturtheoretischen Schriften behandeln insbesondere Fragen der österreichischen Geschichte und Gegenwart, der Demokratiedefizite der EU sowie der Zukunft Europas. Menasse kuratiert seit 2011 ein Writer-in-Residence-Programm in der one world foundation in Sri Lanka. Er wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, u. a. dem Marburger Literaturpreis, dem Lion-Feuchtwanger-Preis der Berliner Akademie der Künste, dem Erich Fried Preis, dem Österreichischen Kunstpreis für Literatur und dem Heinrich-Mann-Preis. Der Autor lebt vorwiegend in Wien.
Sinnliche Gewißheit
Rowohlt
Reinbek bei Hamburg, 1988
Selige Zeiten, brüchige Welt
Residenz
Salzburg/Wien, 1991
Schubumkehr
Residenz
Salzburg/Wien, 1995
Erklär mir Österreich
Essays zur österreichischen Geschichte
Suhrkamp
Frankfurt a. M., 2000
Das war Österreich
Gesammelte Essays zum Land ohne Eigenschaften
Suhrkamp
Frankfurt a. M., 2005
Der Europäische Landbote, die Wut der Bürger und der Friede Europas oder Warum die geschenkte Demokratie einer erkämpften weichen muss
Zsolnay
Wien, 2012
Heimat ist die schönste Utopie
Reden (wir) über Europa
Suhrkamp
Berlin, 2014
Die Hauptstadt
Suhrkamp
Berlin, 2017