Rachid Boudjedra
- Algerien
- Zu Gast beim ilb: 2006, 2009
Rachid Boudjedra wurde 1941 im ostalgerischen Aïn Béïda geboren. Am elitären Lycée Saddiki in Tunis wurde er mit den Grundlagen der arabischen wie auch der westlichen Kultur vertraut gemacht. 1962 nahm er in Algier ein Philosophiestudium auf, das er an der Sorbonne in Paris abschloss. Nachdem er sechs Romane in französischer Sprache veröffentlicht hatte, wechselte er 1981 zunächst zum Arabischen, um Mitte der 1990er Jahre zum Französischen zurückzukehren.
Für seinen ersten Roman »La répudiation« (1969; dt. »Die Verstoßung«, 1991), der in viele Sprachen übersetzt wurde, in Algerien aber bis 1980 verboten war, erhielt er den von Jean Cocteau gestifteten Prix des enfants terribles. Im Zentrum steht die Verstoßung der Mutter, die für den fünfjährigen Sohn zum traumatischen Erlebnis wird. Wenn der Protagonist als Heranwachsender die junge Geliebte des Vaters, seine Stiefmutter, verführt, so ist dies ebenso ein Akt der Rache wie eine Schuldzuweisung an die Vätergeneration, die alle Machtpositionen besetzt hält und der jungen Generation ihre Chancen verweigert.
Für Boudjedra geht es in seien Werken nach eigenen Worten darum, die offizielle Geschichtsschreibung Algeriens infrage zu stellen und ihre Widersprüche aufzudecken. So entlarvt er in »Les 1001 nuits de la nostalgie« (1979; dt. »Die 1001 Jahre der Sehnsucht«, 1999) den Mythos einer glorreichen Vergangenheit, spricht in »al-Tafakkuk« (1981; dt. »Die Zerfaserung«, 1997) vom Beitrag der Kommunisten am Befreiungskrieg und thematisiert in »La prise de Gibraltar« (1987; dt. »Die Eroberung von Gibraltar«, 1994) die frühe koloniale Vergangenheit der arabischen Kultur, die er an der Eroberung Spaniens demonstriert. Mit »L’escargot entêté« (1977; dt. »Die hartnäckige Schnecke«, 1993), einer Satire auf eine außer Kontrolle geratene Bürokratie, zielt er nicht nur auf das eigene Land ab, sondern erreichte auch in der Sowjetunion ein Millionenpublikum.
Die politische Dimension ist jedoch nur ein Aspekt seines Werks. Ihn treibt auch die Suche nach einer Erneuerung des Romans, nach neuen Möglichkeiten des Erzählens und nach formaler Perfektion an. Als seine literarischen Ahnen nennt er nicht nur die Klassiker der Moderne, Flaubert, Proust, Joyce und Faulkner, sondern auch Günter Grass und vor allem Claude Simon. Am Nouveau roman geschult, entwickelte Boudjedra einen Stil, den frühe Kritiker als »verbalen Exzess« bezeichneten.
In den 1970er Jahren trat Boudjedra auch als Drehbuchautor hervor, u. a. für den Film »Chroniques des années de braise«, der 1975 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde. Boudjedra lebt heute in Algier und Paris. Sein jüngster Roman »Hôtel Saint Georges« (2007) ist bisher nur in Algerien erschienen.
© internationales literaturfestival berlin
Die Eroberung von
Gibraltar
Kinzelbach
Mainz, 1994
[Ü: Eva Moldenhauer]
Die Auflösung
Kinzelbach
Mainz, 1996
[Ü: Monika Hoffmann
und Salah Tamen]
TB Suhrkamp
Frankfurt/Main, 2000
Die Zerfaserung
Kinzelbach
Mainz, 1997
[Ü: Farid Benfeghoul]
Die 1001 Jahre der
Sehnsucht
Kinzelbach
Mainz, 1999
[Ü: Nuha Forst und
Angelika Rahmer]
TB Suhrkamp,
Frankfurt/Main, 2002
Die hartnäckige Schnecke
Kinzelbach
Mainz, 2002
[Ü: Eva Moldenhauer]
Hôtel Saint Georges
Editions Dar El Gharb
Oran (Algerien), 2007
Übersetzer
Farid Benfeghoul, Nuha Forst, Monika Hoffmann, Eva Moldenhauer, Angelika Rahmer, Salah Tamen