Pnina Moed Kass
- Israel, USA
- Zu Gast beim ilb: 2007
Pnina Moed Kass wurde 1938 in Belgien geboren und wuchs in New York auf. Seit fast vierzig Jahren lebt sie in ihrer Wahlheimat Israel. Nach dem Studium der Politikwissenschaft und Kunstgeschichte in den USA arbeitete sie in der Werbe- und Musikbranche. Sie schrieb für verschiedene Magazine und unterrichtete Englisch an einer High School in den USA und später in Israel. Ihr literarisches Werk umfasst Kurzgeschichten, die in zahlreichen Zeitungen und Anthologien publiziert wurden, Drehbücher, Liedtexte, Bilderbuchgeschichten und den Aufsehen erregenden Roman »Real Time« (2004; dt. »Echtzeit«, 2005).
Protokollartig präsentiert Moed Kass darin ein Mosaik aus Figuren, deren Lebenswege sich in Israel kreuzen und jäh an einen Abgrund geraten, als eines Morgens um 11:47 Uhr in einem Bus eine Bombe explodiert. Kunstvoll verknüpft die Autorin die Schicksale zu einem ergreifenden Dokument des Alltags im heutigen Israel: Da ist der 16-jährige Thomas Wanninger auf der Suche nach Antworten über die Nazi-Vergangenheit seines Großvaters, der gleichaltrige Palästinenser Sameh Laham, der illegal in einem israelischen Restaurant arbeitet, die aus Odessa stammende Vera Brodsky, der Holocaust-Überlebende Baruch Ben Tov sowie ein palästinensischer Arzt in einem israelischen Krankenhaus. Stunde für Stunde, Minute für Minute verfolgt Pnina Moed Kass in multiperspektivischer Erzähltechnik die Ereignisse vor und nach dem Selbstmordattentat und zeichnet ein packendes Bild des israelisch-palästinensischen Konflikts. »Es ist wie bei einem verhedderten Faden – wenn man daran zieht, wird der Knoten nur fester«, heißt es im Roman. Die inneren Monologe sind mit Gesprächen, Radionachrichten und Verhörprotokollen, Sanitäterberichten, medizinischen Befunden, TV-Kommentaren und Augenzeugenberichten dramaturgisch exzellent montiert. Große Überzeugungskraft gewinnt der Roman insbesondere dadurch, dass die Autorin keine Sichtweise ausklammert. Sie beleuchtet den beklemmenden Alltag der Israelis ebenso wie die Motive der Attentäter und die demütigenden Lebensbedingungen im besetzten Gaza-Streifen. In den Gedankenströmen der Hauptpersonen vor und nach dem Attentat werden die wahren Motive für die Aufenthalte der Figuren deutlich und erfahren eine Neubewertung: Was bedeuten nach einem solchen Unglück noch Geheimnisse, Hoffnungen und Träume? Durch die unkommentierte Montage dieser Reflexionen lässt Pnina Moed Kass ein eindringliches Schreckensbild des Irrwegs des Terrors entstehen. »Manchmal habe ich mich gefragt, ob ich wirklich etwas schreibe oder es nur aufzeichne«, sagt die Autorin, die sich nach der weltweiten Terrorwelle des 11. September zu diesem Roman entschloss. Die »Frankfurter Rundschau« zählte »Echtzeit« zu einem der »aufregendsten Jugendbücher der letzten Jahre«.
Der auf Englisch geschriebene Roman ist inzwischen auch in Frankreich und Deutschland erschienen. In Kürze wird eine italienische Übersetzung veröffentlicht. Das Werk wurde mit dem Sydney Taylor Book Award (2004) sowie dem National Jewish Book Award (2005) ausgezeichnet und u.a. von der American Library Association offiziell zur Lektüre empfohlen (2006). Zudem legte Moed Kass eine Bilderbuch-Reihe in hebräischer Sprache vor. Die Autorin hat drei Söhne und drei Enkelkinder. Sie lebt in der Nähe von Tel Aviv.
© internationales literaturfestival berlin
Stefan und sein Dreirad
[mit Lorna Tomai]
Carlsen
Reinbek, 1983
Berele Berele ma ba sal
Keter
Jerusalem, 1990
[Ill: Ora Ayal]
Berele Berele bo la gan
Keter
Jerusalem, 1999
[Ill: Pepi Marsel]
Echtzeit
Bloomsbury Verlag
Berlin, 2005
[Ü: Uwe-Michael Gutzschhahn]
Übersetzer: Uwe-Michael Gutzschhahn