23. ilb 06. – 16.09.2023

Péter Nádas

Péter Nádas wurde 1942 in Budapest geboren. In den sechziger Jahren arbeitete er als Fotoreporter und Journalist, u. a. für das Magazin »Nök Lapja« und die Tageszeitung »Pest Megyei Hirlap«.

Sein literarisches Debüt, die Erzählung »A biblia« (1967; dt. »Die Bibel«, 2009), verfasste er mit 23 Jahren. Es zeigt bereits, wie subtil Nádas politische und historische Aspekte in privaten Szenen zu reflektieren vermag, in diesem Fall das stalinistische Rákosi-Regime. Zwischen 1969 und 1977 wurde jede seiner Publikationen von der ungarischen Zensur unterdrückt, so dass sein erster Roman »Egy családregény vége« (1977; dt. »Ende eines Familienromans«, 1979) erst spät erscheinen konnte. Aus der Sicht eines Kindes geschildert, wird hier das totalitäre System, das bis in die Träume des jungen Erzählers wirkt, bloßgelegt. Mitunter lässt Nádas hierbei die Zeit- und Realitätsebenen fließend ineinander übergehen – eine narrative Technik, die er in seinen folgenden Werken perfektionierte. International bekannt wurde er durch den Roman »Emlékiratok könyve« (1986; dt. »Buch der Erinnerung«, 1991), an dem er elf Jahre lang arbeitete und der u. a. von Susan Sontag als »bester Roman unserer Zeit« gepriesen wurde. Als verfremdete literarische Mise en abyme konzipiert, erstrecken sich gedoppelte, in sich verschachtelte und oftmals überkreuzende Ich-Erzählungen über nahezu ein Jahrhundert hinweg, die in den beiden von Ideologien geprägten Städten Berlin und Budapest angesiedelt sind. In den Folgejahren veröffentlichte Nádas Erzählungen, Essays, Theaterstücke und Bildbände. Währenddessen schrieb er jedoch an seinem an Umfang und Komplexität noch den Vorgängerroman übertreffenden Opus magnum »Párhuzamos történetek« (2005; dt. »Parallelgeschichten«, 2012). Ausgehend von dem Fund einer Leiche im Berliner Tiergarten wenige Wochen nach dem Mauerfall, entspinnt sich ein über drei Bände ausuferndes Jahrhundertpanorama. Das Chaos zum kompositorischen Prinzip erhoben, werden Handlungsstränge oftmals abrupt unterbrochen, um Hunderte von Seiten später wiederaufgenommen zu werden. Neben dem politisch-historischen Abbild der jeweiligen Epoche findet Nádas eine Sprache, die sich das Körperliche und Intime auf virtuose Weise anverwandelt. Zuletzt erschienen u. a. seine »Memoiren eines Erzählers« »Világló részletek« (2017; dt. »Aufleuchtende Details«, 2017). In dem Bericht »Saját halál« (2004; dt. »Der eigene Tod«, 2020) schildert er seine eigene Nahtod-Erfahrung nach einem Herzinfarkt. Der Band »Talát cetli és más elegyes írások« (1992; dt. »Freiheitsübungen und andere Kleine Prosa«, 2021) vereint Miniaturen aus drei Jahrzehnten.

Nádas wurde u. a. der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur (1991), der Franz-Kafka-Literaturpreis (2003) und der Würth-Preis für Europäische Literatur (2014) verliehen. Für die »Parallelgeschichten« wurde er zusammen mit Christina Viragh mit dem Literatur- und Übersetzungspreis Brücke Berlin 2012 ausgezeichnet. Nádas lebt in Gombosszeg und Budapest.