Tommy Orange
- USA
- Zu Gast beim ilb: 2019
Tommy Orange, geboren 1982 in Oakland, Kalifornien, ist Mitglied der Cheyenne und Arapaho Tribes. Er wuchs in einem religiös-kulturellen Spannungsfeld auf: Sein Vater, für den Cheyenne die Muttersprache ist, war Zeremonienmeister in der Kirche der amerikanischen Ureinwohner, und seine weiße Mutter, eine nach Spirituellem Suchende, konvertierte später zum evangelischen Christentum und verurteilte die religiösen Praktiken seines Vaters. Orange studierte am Institute of American Indian Arts. Er zählt zu einer jungen indigenen Schriftstellergeneration aus den USA und Kanada, die in ihrer Lyrik und Prosa mit alten Stereotypen hinsichtlich der Identität amerikanischer Ureinwohner bricht. Die Autor*innen dieser Generation, zu denen beispielsweise auch Natalie Diaz, Tommy Pico, Terese Marie Mailhot und Elissa Washuta gehören, lassen in ihre Werke Elemente von Popkultur, Hiphop und Science-Fiction einfließen.
Mit seinem polyphonen Debütroman »There There« (2018; dt. »Dort dort«, 2019) schrieb er ein modernes Epos der amerikanischen Ureinwohner, in dem sich die Komplexität und Ambivalenz des Milieus seiner Herkunft spiegelt. Der Titel bezieht sich auf Gertrude Steins »Everybodyʼs Autobiography« (1937), in der sie ihre Rückkehr nach Oakland beschreibt, das längst nicht mehr so ländlich ist, wie sie es als Kind kannte: »There is no there there.« Orange beginnt seinen Roman mit Überlegungen zur Symbolik des Indianerhauptes, das häufig auf Münzen, Flaggen und als Ornament auf Bildern dargestellt wird, tatsächlich jedoch die Gewalt gegen die amerikanischen Ureinwohner wachruft, deren Köpfe im 17. Jahrhundert nach einem Massaker aufgespießt wurden. »There There« folgt den Lebenslinien von zwölf Figuren, die mit ihrer Herkunft und ihrem Platz in der Gesellschaft hadern und schließlich zu einem großen Powwow (traditionelles Treffen nordamerikanischer Indianer) im Oakland Coliseum zusammentreffen, um ihre Traditionen zu feiern. Der kanadische Schriftsteller und Journalist Omar El Akkad lobte den Roman wie folgt: »›There There‹ ist eine großartige Leistung, ein Buch, bei dem sich schonungslose Ehrlichkeit und Originalität in den Dienst der Darstellung einer Geschichte stellen, die erzählt werden muss. Dieser Roman handelt davon, was es bedeutet, ein Land zu bewohnen, das einem gehört und zugleich gestohlen wurde, im Widerstreit zu stehen zwischen Zugehörigkeit und Unzugehörigkeit.«
»There There« war Finalist des Pulitzer Prize 2019 und nominiert für den National Book Award sowie die Andrew Carnegie Medal for Excellence; der Roman gewann den John Leonard Prize des National Book Critics Circle sowie den Hemingway Foundation/PEN Award. Tommy Orange war 2014 MacDowell Fellow und 2016 Writing by Writers Fellow. Derzeit lebt er in Angels Camp, Kalifornien.
Dort dort
Hanser Berlin
Berlin, 2019
[Ü: Hannes Meyer]