Olga Tokarczuk
Olga Tokarczuk wurde 1962 in Sulechów bei Zielona Góra in Polen geboren. Sie studierte Klinische Psychologie an der Universität von Warschau. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie zunächst als Therapeutin.
1993 erschien ihr erster Roman »Podróż ludzi Księgi« (Ü: Die Reise der Buchmenschen), der von der Gesellschaft der polnischen Buchverlage als bestes Prosadebüt der Jahre 1992 und 1993 ausgezeichnet wurde. Der Roman »Prawiek i inne czasy« (1996; dt. »Ur und andere Zeiten«, 2000) erzählt die Geschichte eines kleinen fiktiven Ortes in Ostpolen über acht Jahrzehnte. Das Leben der Menschen wird zwar bestimmt von den geschichtlichen Ereignissen des 20. Jahrhunderts, dennoch überwiegt der Eindruck von Zeitlosigkeit in dem von Tokarczuk kreierten poetischen Raum. Es geht um die ewigen Themen Liebe und Hass, Geburt und Tod, Spiritualität und Materialismus, und die Autorin verarbeitet antike Mythen wie biblische Geschichten. Mythologie steht auch im Mittelpunkt ihres Romans »Anna In w grobowcach świata« (2006; dt. »AnnaIn in den Katakomben«, 2007), in dem sie die Sage der sumerischen Mondgöttin Inanna aufgreift. Ihr Roman »Dom dzienny, dom nocny« (1999; dt. »Taghaus, Nachthaus«, 2001), der in einem Dorf in Niederschlesien spielt, ist eine Komposition aus Textfragmenten: essayistischen Betrachtungen über Vergangenheit und Gegenwart aus Tokarczuks Wahlheimat, Heiligenlegenden und Lebensgeschichten der Bewohner. Der Roman »Bieguni« (2008; dt. »Unrast«, 2009) handelt vom Nomadentum des modernen Menschen und variiert zwischen Reiseerzählung, mythologischen Geschichten und philosophischen Betrachtungen. Ihr von Agnieszka Holland verfilmter Tierschutzroman »Prowadź swój pług przez kości umarłych« (2009; dt. »Der Gesang der Fledermäuse«, 2011) erzählt von einer gealterten Bergbauingenieurin, die in der Zurückgezogenheit der südpolnischen Berge ihrer Liebe zu Tieren, der Astrologie und William Blake frönt. Der historische Roman »Księgi Jakubowe« (2014; dt. »Die Jakobsbücher«, 2019), der in Tokarczuks Heimat eine Kontroverse auslöste, widmet sich dem Schicksal der polnisch-litauischen Adelsrepublik vor dessen Aufteilung zwischen Russland, Österreich und Preußen sowie dem Leben von Jakob Joseph Frank, der als eine der einflussreichsten Figuren des jüdischen Lebens im 18. Jahrhundert sein Volk in Osteuropa für die Moderne öffnen wollte.
Olga Tokarczuk lebt seit 1998 im Dorf Krajanów bei Nowa Ruda und in Wrocław. Dort führte sie auch mehrere Jahre ihren Verlag Ruta, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Sie erhielt u. a. den Brücke Berlin Literatur- und Übersetzerpreis, den Man Booker International Prize und den Nobelpreis für Literatur (2019 rückwirkend für das Jahr 2018). Das Komitee begründete seine Entscheidung mit Tokarczuks »narrativer Vorstellungskraft, die mit einer enzyklopädischen Leidenschaft das Grenzüberschreiten als eine Lebensform repräsentiert«.
Ur und andere Zeiten
Berlin Verlag
Berlin, 2000
[Ü: Esther Kinsky]
Taghaus, Nachthaus
Deutsche Verlags-Anstalt
Stuttgart/München, 2001
[Ü: Esther Kinsky]
Letzte Geschichten
Deutsche Verlags-Anstalt
München, 2006
[Ü: Esther Kinsky]
AnnaIn in den Katakomben
Der Mythos der Mondgöttin Inanna
Berlin Verlag
Berlin, 2007
[Ü: Esther Kinsky]
Unrast
Schöffling
Frankfurt a. M., 2009
[Ü: Esther Kinsky]
Der Gesang der Fledermäuse
Schöffling
Frankfurt a. M., 2011
[Ü: Doreen Daume]
Die Jakobsbücher
Kampa
Zürich, 2019
[Ü: Lisa Palmes u. Lothar Quinkenstein]