Nicoleta Esinencu
- Moldau
- Zu Gast beim ilb: 2010, 2012, 2018, 2019
Nicoleta Esinencu wurde 1978 in der moldauischen Hauptstadt Chişinău geboren, an der staatlichen Universität der Künste studierte sie Dramatisches Schreiben. Gemeinsam mit Mihai Fusu und Dumitru Crudu schrieb sie 2001 das Theaterstück »A şaptea cafanã« (Ü: Das siebte Kaffeehaus), das in Moldau, Rumänien und auf verschiedenen europäischen Festivals zur Aufführung kam. Ab 2002 arbeitete sie als Dramaturgin am Eugen-Ionescu-Theater in Chişinău, 2010 gründete sie den alternativen, theaterorientierten Künstlerraum Teatru Spălătorie, den sie auch leitet.
International bekannt wurde sie mit dem dramatischen Monolog »Fuck you, Eu.ro.Pa!« (2005), den sie bei einem Stipendienaufenthalt auf Schloss Solitude in Stuttgart verfasste. In dem Stück versucht eine junge Frau, ihrem Vater zu erklären, warum sie nicht an einem Essaywettbewerb über ihr Vaterland, die Republik Moldau, teilnehmen möchte, und rechnet dabei mit ihrem Land, seiner jüngeren Geschichte, mit Europa und der Situation in der postsowjetischen Welt ab. Einerseits fühlt sie sich verraten und abgestoßen von einer Zukunft des neoliberalen Profithungers, der aus Europa in die ehemalige Sowjetrepublik herüberschwappt. Andererseits sieht sie sich ihrer Vergangenheit beraubt, ihrer Kindheit in der Sowjetunion, die Teil eines Lügengebäudes war. Der Text, der an Monolog-Dramen Elfriede Jelineks erinnert und u. a. in Chişinău, Bukarest, Nancy und Moskau gespielt wurde, kann als Liebeserklärung an das kleine Land im europäischen Abseits zwischen Rumänien und der Ukraine verstanden werden: »Alles, was ich schreibe, schreibe ich für die Republik Moldau.« Auch die seither erschienenen Texte zeichnen sich durch einen aggressiv-kraftvollen Tonfall und die Kritik an der postkommunistischen Gesellschaft aus. So befasst sich »A(II)RH+« (2007) mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, »Zuckerfrei« (UA Dresden 2008) thematisiert den Übergang von einer kommunistischen zu einer möchtegerndemokratischen, kapitalistischen Gesellschaft, »Who Runs the World: Gospel of Mary/Apocalypse of Lilith« (UA Stuttgart 2018) ist eine Art Urtext einer Welt der Frauen. Für die Anthologie »Odessa Transfer« mit Essays, literarischen Reportagen und Erzählungen aus der Schwarzmeerregion wirft sie in ihrem Beitrag »Von Chişinău zum siebten Kilometer« einen poetischen, ironisch-nüchternen Blick auf ihr Land in den letzten zwanzig Jahren. In Berlin war sie am HAU Hebbel am Ufer als Regisseurin mit verschiedenen Projekten zu Gast, zuletzt mit der Auftragsarbeit »Life« (2016) im Rahmen des Festivals Die Ästhetik des Widerstands – Peter Weiss 100. 2018 wurde am Schauspielhaus Graz ihr jüngstes Stück »Rest of Europe« uraufgeführt, eine Textcollage über die Regionen Europas, die von der EU-Wirtschaftspolitik an den Rand gedrängt werden.
Die Autorin erhielt den rumänischen Theaterpreis Dramacum. 2019 ist sie Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD.
Fuck you, Eu.ro.Pa!
Monolog
Akademie Schloss Solitude
Stuttgart, 2005
[Ü: Helga Kopp]
A(II)Rh+
Walther König
Köln, 2007
[Ü: Georg Aescht]
Von Chişinău zum siebten Kilometer
In: Odessa Transfer
Nachrichten vom Schwarzen Meer
[Hg. Katharina Raabe u. Monika Sznajderman]
Suhrkamp
Frankfurt a. M., 2009
[Ü: Eva Ruth Wemme]
Das rumänische Theater nach 1989
Seine Beziehungen zum deutschsprachigen Raum
[Hg. Alina Mazilu, Medana Weident u. Irina Wolf]
Frank & Timme
Berlin, 2010
Ich bin die Apokalypse
In: Utopie und Feminismus
[Hg. Annemie Vanackere u. Sarah Reimann]
Berlin
Matthes& Seitz Berlin, 2018
[Ü: Eva Ruth Wemme]