Nedim Gürsel
- Frankreich, Türkei
- Zu Gast beim ilb: 2003
Nedim Gürsel wurde 1951 in Gaziantep in der Türkei geboren. Bereits Ende der sechziger Jahre veröffentlichte er erste Novellen und Essays in türkischen Literaturzeitschriften. Nach dem Staatsstreich von 1971 musste er sich für einen seiner Artikel vor Gericht verantworten, woraufhin er nach Frankreich ging. Er studierte an der Pariser Sorbonne Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften und schrieb seine Dissertation über Nâzim Hikmet und Louis Aragon. 1979 kehrte Gürsel in die Türkei zurück, doch der Militärputsch von 1980 trieb ihn erneut ins französische Exil. Dort schrieb er Artikel und Reiseberichte, die in „Le Monde“ aber auch in den türkischen Zeitungen „Cumhuriyet“ und „Milliyet“ erschienen. Heute lehrt er an der Sorbonne zeitgenössische türkische Literatur und ist Forschungsdirektor des Centre National de la Recherche Scientifique.
1976 erschien Gürsels erster Erzählband „Uzun Sürmüþ Bir Yaz“ (dt. „Ein Sommer ohne Ende“), für den er sogleich die höchste Literaturauszeichnung der Türkei, den Preis der türkischen Akademie, erhielt. Elf Jahre später folgte sein erster auch international vielbeachteter Roman „Boðazkesen“, der unter dem Titel „Der Eroberer“ (1998) auf Deutsch vorliegt. Darin wird geschildert, wie im Spätsommer 1980 ein Schriftsteller in Istanbul von seinem Romanhelden, der historischen Gestalt des grausamen und zugleich feingeistigen Sultan Mehmet II., so sehr fasziniert ist, dass für ihn Vergangenheit und Gegenwart eins werden und seine Überidentifikation auch ihn zum Verbrecher werden lässt. Was sich an der Oberfläche wie ein farbenprächtiger, historischer Roman über Leidenschaft, Leben und Tod anlässt, erweist sich als eine kritische Auseinandersetzung mit der Militärdiktatur zu Anfang der achtziger Jahre. Gürsel wurde für sein realistisches Bild des Eroberers Mehmet, der für die Fundamentalisten ein Heiliger ist, in seiner Heimat Vaterlandsverrat vorgeworfen.
Im Roman „Resimli Dünya“ (1999; dt. „Turbane in Venedig“, 2002) lässt der Autor die osmanische Kultur im Spannungsfeld mit der italienischen Renaissance lebendig werden. Der Originaltitel bedeutet wörtlich „Die Welt mit Bildern“ und kann auch als Verweis auf die üppige Bildhaftigkeit von Gürsels phantastischen Romanen verstanden werden. Die Geschichte der Türkei und Europas sowie orientalische Erzähltraditionen bilden den Hintergrund zu den Werken Gürsels, der mit zahlreichen weiteren türkischen und französischen Preisen ausgezeichnet wurde und 2003 sowie 2006 Jurymitglied des Lettre Ulysses Award war. Gürsel zählt neben Yaşar Kemal und Orhan Pamuk zu den wichtigsten zeitgenössischen Schriftstellern der Türkei.
© internationales literaturfestival berlin
Die erste Frau
Dagyeli
Frankfurt/Main, 1986
[Ü: Eva Warth-Karabulut]
Ein Sommer ohne Ende
Dagyeli
Frankfurt/Main, 1988
[Ü: Eva Warth-Karabulut]
Paysage littéraire de la Turquie centemporaine
L´Harmattan
Paris, 1993
Der Eroberer
BTB
München, 2000
[Ü: Ute Birgi-Knellessen]
Turbane in Venedig
Ammann
Zürich, 2002
[Ü: Monika Carbe]
Balcon sur la Méditerranée
Seuil
Paris, 2003
[Ü: Esther Heboyan-DeVries und Timor Muhiddin]
Yachar Kemal
L’Harmattan
Paris, 2003
Au pays des poissons captifs
Bleu autour
Saint-Pourçain-sur-Sioule, 2004
De ville en ville
Ed. du Seuil
Paris, 2007
[Ü: Esther Heboyan-De Vries]
Yedi Dervisler
Edition Orient
Berlin-Kreuzberg, 2008
Sieben Derwische: Anatolische Legenden
Insel Verlag
Berlin, 2008
[Ü: Monika Carbe]