Natasza Goerke
- Deutschland, Polen
- Zu Gast beim ilb: 2007
Natasza Goerke wurde 1960 im polnischen Posen geboren. Sie studierte Polonistik an der dortigen Adam-Mickiewicz-Universität und Orientalistik an der Krakauer Jagiellonen-Universität. Seitdem beschäftigt sie sich mit tibetanischen S pr achen und östlicher Philosophie, wovon ihr Werk zahlreiche Spuren trägt. Mitte der achtziger Jahre verließ sie ihr Heimatland, verbrachte einige Zeit im fernen Osten und ließ sich in Hamburg nieder. Sie veröffentlichte erste Geschichten in Zeitschriften wie »Odra«, »Czas Kultury« und dem Untergrundmagazin »BruLion«, nach dem eine ganze Schriftstellergeneration benannt ist, zu der neben Goerke auch Izabela Filipiak oder Andrzej Stasiuk gehören. Desillusioniert wandten sie sich nicht nur von der offiziell pr opagierten Literatur, sondern auch vom Moralismus der Opposition ab und orientierten sich am magischen Realismus Lateinamerikas und der anglo-amerikanischen postmodernen Literatur. Ihr amerikanischer Übersetzer W. Martin vergleicht Goerkes gewöhnlich als »surrealistisch« klassifizierte Erzählungen mit den Werken von Daniil Charms, Sławomir Mrożek, Clarice Lispector und Antonio Tabucchi.
Nach ihren ersten beiden in Polen erschienenen Büchern, »Fractale« (1994; Ü: Fraktale) und »Księga pasztetów« (1994; Ü: Buch der Pastete) wurde sie vor allem mit dem Erzählband »Pozegnania plazmy« (1999; dt. »Abschied vom Plasma«, 2000) bekannt, der ins Deutsche und Englische übersetzt wurde. In Überblendung von Wirklichkeit und Traumwelt entwickelt sich ein Erzählraum, der durch die häufige Verwendung von Anspielungen, Verweisen, Zitaten und Selbstreferenzen einen Zustand von Ambiguität herstellt, welcher die gleichfalls vorhandene Sehnsucht nach Geborgenheit und Identität nicht stillt. Goerke charakterisiert ihre eigene Position als Schriftstellerin so: »Die Emigration ist eine wichtige Erfahrung, wenn auch manchmal eine schmerzliche, so doch von unschätzbarem Wert. Ich habe Wurzeln, aber sie sind abgestorben. Ich habe eine S pr ache, aber sie ist unbrauchbar. Ein geistiger Turm von Babel: Solange du nicht kapitulierst, ist es gut.«
Die zuletzt erschienene Erzählung »47 na odlew« (2002; dt. »Rasante Erstarrung«, 2003) beschreibt die Existenz eines »polnischen Mannes ohne Eigenschaften«, der sich durch konsequente Unentschlossenheit und Unauffälligkeit auszeichnet. Für seine erfolgreiche Strategie der Passivität wird er schließlich mit einem Denkmal geehrt. Parabelhaft, doch ohne sich zu Aussage oder Plot zu verdichten, hält sich der Text mit einer Mischung aus Träumen und Wachen, Trivialität und Weisheit, Tradition und Moderne, östlichen und westlichen Einflüssen, popkulturellen und fernöstlichen Motiven in einem Schwebezustand, in dem doch ein genüsslich böser Blick auf die Einfalt der zivilisierten Routine deutlich wird. Die Autorin lebt in Hamburg.
© internationales literaturfestival berlin
Fractale
Obswerwator
Posen, 1994
Księga pasztetów
Obswerwator
Posen, 1997
Sibirische Palme
Rospo
Hamburg, 1997
[Ü: Henryk Pereska]
Abschied vom Plasma
Rospo
Hamburg, 2000
[Ü: Hans-Peter Hoelscher-Obermaier]
47 na odlew
Prószyński i S-ka
Warschau, 2002
Rasante Erstarrung
Skarabæus
Innsbruck, 2003
[Ü: Marlis Lami]
Übersetzer: Hans-Peter Hoelscher-Obermaier, Ursula Kiermeier, Marlis Lami, Henryk Pereska