Nancy Huston
- Frankreich, Kanada
- Zu Gast beim ilb: 2008
Nancy Huston wurde 1953 im kanadischen Calgary geboren. Nachdem ihre Mutter die Familie verlassen hatte, lebte Huston im Alter von sechs Jahren für kurze Zeit bei ihrer zukünftigen Stiefmutter in Deutschland, wo sie die Landessprache erlernte. Mit fünfzehn Jahren folgte sie ihrem Vater und ihrer Stiefmutter aus Kanada ins US-amerikanische Wilton in New Hampshire und studierte später am Sarah Lawrence College in New York Kunst. 1977 ging sie für ein Auslandsjahr nach Paris und kehrte nicht wieder zurück. Sie beendete ihr Studium an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences sociales, wo sie bei dem Zeichentheoretiker und Literaturwissenschaftler Roland Barthes graduierte, und machte Französisch zur Sprache ihres Schreibens.
Huston veröffentlichte in verschiedenen Literaturmagazinen für Frauen wie »Sorcières« und den »Cahiers du GRIF«. Nach zwei Essaysammlungen erschien 1981 ihr erster Roman, »Les variations Goldberg« (Ü: Die Goldberg-Variationen). Später begann sie wieder in ihrer Muttersprache zu schreiben, und seitdem arbeitet sie in beiden Sprachen und übersetzt ihre Werke in beide Richtungen. Neben ihren Romanen verfasste Huston auch zahlreiche Sachbücher – über Themen wie Kraftausdrücke, Krieg und Prostitution, Pornografie und literarischen Nihilismus –, drei Kinderbücher und zwei Theaterstücke. Selbst eine leidenschaftliche Pianistin und Flötistin, bildet Musik ein häufiges Motiv in ihrem literarischen Werk, das sich überwiegend mit den Themen Mutterschaft und kulturelle Identität auseinandersetzt. »La virevolte« (1994; dt. »Kontertanz«, 1997) beispielsweise erzählt von einer Tänzerin, die für ihren Beruf ihre Familie aufgibt. »Instrument des ténèbres« (1996; dt. »Instrumente der Finsternis«, 1998) schildert eine Schriftstellerin, für die der Tod der faszinierendste Aspekt des Lebens ist und die sich in der Konsequenz gegen eigene Kinder entscheidet. »L’empreinte de l’ange« (1998; dt. »Das Engelsmal«, 2000) schließlich ist eine Dreiecksgeschichte: Nachdem sich eine vom Zweiten Weltkrieg traumatisierte Deutsche weder in der Ehe mit einem Franzosen noch durch ihre Mutterschaft von ihrer inneren Starre zu lösen vermag, gibt ihr die Liebe zu einem ungarischen Juden schließlich die Fähigkeit zur Anteilnahme am Leben wieder zurück. Wie auch im jüngsten Roman, »Lignes de faille« (2006; dt. »Ein winziger Makel«, 2008), deutet Huston Schicksalsschläge, Krisen und Konflikte letztendlich als Facetten der Reichhaltigkeit des Lebens.
Ihr Werk wurde mit dem renommierten Prix Femina ausgezeichnet. Zu Hustons weiteren Ehrungen zählen der Prix Contrepoint, der Prix du gouverneur général, der Prix Canada-Suisse, der Prix »L«, der Prix Goncourt des Lycéens, der Prix du Livre Inter und der Grand Prix des Lectrices de Elle. Die Autorin ist Officer of the Order of Canada und Officier des Arts et des Lettres in Frankreich. Huston wurde vier Mal die Ehrendoktorwürde verliehen, zuletzt von der Universität Liège.
© internationales literaturfestival berlin
Les variations Goldberg
Seuil
Paris, 1981
Trois fois septembre
Seuil
Paris, 1989
Kontertanz
Bruckner & Thünker
Köln [u.a.O.], 1996
[Ü: Urs Richle]
Instrumente der Finsternis
Luchterhand
München, 1998
[Ü: Michael von Killisch-Horn]
Das Engelsmal
Luchterhand
München, 2000
[Ü: Michael von Killisch-Horn]
Dolce Agonia
Actes Sud
Arles, 2001
Lignes de faille
Actes Sud
Arles, 2006
Ein winziger Makel
Rowohlt
Reinbek, 2008
[Ü: Uli Aumüller; Claudia Steinitz]
Übersetzung: Uli Aumüller, Claudia Steinitz, Urs Richle, Michael von Killisch-Horn