Milton Hatoum
- Brasilien
- Zu Gast beim ilb: 2008
Milton Hatoum wurde 1952 als Sohn eines libanesisches Einwanderers und einer Brasilianerin in Manaus geboren. Er studierte zunächst Architektur in São Paulo und arbeitete als Journalist. Mit einem Stipendium gelangte er nach Madrid, Barcelona und Paris, wo er Vergleichende Literaturwissenschaften studierte und an der Sorbonne graduierte. Zurück in Manaus begann er 1984, Französische Literatur an der Universidade Federal do Amazonas zu lehren. An der University of California, Berkeley, war er Gastdozent für Lateinamerikanisch Literatur.
1989 erhielt Hatoum für sein Romandebüt »Relato de um certo Oriente« (dt. »Brief aus Manaus«, 2002) den renommierten Jabuti-Literaturpreis. Mit melodiösem, dichtem Sprachfluss und lebendigen Metaphern wird anhand der Chronik einer Einwandererfamilie die Spannung zwischen Orient und Okzident sowie ihre gegenseitige Durchdringung dargestellt. Der Tod der Matriarchin weckt polyphone Erinnerungen der Zurückgebliebenen und offenbart das komplexe Gefühlsleben einer Familie, die zwischen zwei Religionen und Kulturen steht.
Das Aufeinandertreffen verschiedener kultureller Einflüsse ist ein zentrales Motiv des Autors. Handlungsort seiner Werke ist meist seine Heimatstadt, an deren Beispiel er auch die »traumatische Ungleichzeitigkeit« der Globalisierung literarisiert. Hatoum als Meister der Darstellung emotionaler Verstrickungen gelingt es mit oft nur wenigen Sätzen, die Seelenschichten seiner Protagonisten freizulegen. Im Roman »Dois irmãos« (2000; dt. »Zwei Brüder«, 2002) wird der Hass zwischen zwei Geschwistern geschildert, der eine ganze Familie beherrscht. In den Biografien der gegensätzlichen Zwillingsbrüder spiegelt sich ein dichtes, historisches Porträt der Stadt Manaus, in die langsam die Moderne Einzug hält.
Hatoums dritter Roman, »Cinzas do Norte« (2005; dt. »Asche vom Amazonas«, 2008), gibt mit dem Lebensbericht zweier Freunde auch die brasilianische Geschichte über mehrere Jahrzehnte hinweg wider und rechnet mit der Diktatur und der von ihr forcierten Modernisierung ab. Der künstlerisch veranlagte Unternehmersohn Raimundo rebelliert gegen das Militärregime und den verhassten Vater, zieht rastlos in der Welt umher, ohne sich doch von seiner Herkunft lösen zu können, während der Waisenjunge Olavo den Weg eines Anwalts der kleinen Leute einschlägt.
Hatoums neuestes Werk, »Órfãos do Eldorado« (2008, Ü: Die Waisen des Eldorado), verbindet erneut alte Mythen des Amazonas mit der Chronik einer Familie, einer Region und einer Epoche. Neben seinen Romanen, die in zwölf Ländern erschienen, veröffentlichte der Autor auch Essays, Erzählungen sowie Übersetzungen der Werke von Edward Said und Gustave Flaubert. Er war Writer in Residence an den Universitäten von Yale, Stanford und Berkeley sowie beim International Writing Programm in Iowa. Hatoum erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter zweimal den Jabuti-Literaturpreis sowie den Prêmio Portugal Telecom de Literatura. Er arbeitet und lebt in São Paulo und schreibt regelmäßig Kolumnen für brasilianische und internationale Literaturmagazine und Zeitschriften.
© internationales literaturfestival berlin
Brief aus Manaus
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 2002
[Ü: Karin von Schweder-Schreiner]
Zwei Brüder
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 2002
[Ü: Karin von Schweder-Schreiner]
Asche vom Amazonas
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 2008
[Ü: Karin von Schweder-Schreiner]
Órfãos do Eldorado
Companhia das Letras
São Paulo, 2008
Übersetzerin: Karin von Schweder-Schreiner