Michal Hvorecký
Der slowakische Schriftsteller und Journalist Michal Hvorecký wurde 1976 in Bratislava geboren. An der Universität in Nitra studierte er Kunstgeschichte und semiotisch orientierte ästhetische Theorie. Er war 2004 ein Semester Writer in Residence an der Universität von Iowa, USA, und reiste zu längeren Aufenthalten nach Belgien, Deutschland und Österreich.
Sein Roman »Plyš« (2005; dt. »City – Der unwahrscheinlichste aller Orte«, 2006) ist eine Liebesgeschichte im neuen Europa der Globalisierung. Der Stoff wurde dramatisiert und vom Schauspiel Hannover uraufgeführt. Hvoreckýs dritter Roman »Eskorta« (2007; dt. 2009) wendet sich dem neuen Europa nach dem Zerfall des politischen und wirtschaftlichen Systems im Osten zu. Erzählt wird die Geschichte des arbeitslosen Schauspielers Michal Kirchner, der sich bei einem Escortservice für reiche Managergattinnen verdingt. Dabei portraitiert der Roman nicht nur die vom Turbokapitalismus heimgesuchte slowakische Hauptstadt Bratislava, Hvoreckýs Helden verschlägt es auch in den Norden des Landes, wo Armut und Verfall in krassem Gegensatz zu den neuen Designerhotels der Hauptstadt stehen, in denen Michal seine Kundinnen bedient: „Vor zwei Monaten musste ich eine ältere Italienerin alle zwei Stunden oral befriedigen, und wenn ich das nicht innerhalb von zwei Minuten schaffte, schlug sie mich mit der ›Vogue‹ auf den Kopf. Die Zeitschrift war noch eingesschweißt, und auf beiden Seiten drückten sich kleine, harte Cremepröbchen durch die Folie.« Ihm begegnen Sexbesessenheit, Geldgier und Überheblichkeit, doch der Callboy findet Entschädigung für alle Erniedrigungen. Als er sich jedoch zum ersten Mal verliebt, muss diese Liebe tragisch enden. Gebrochen und drogenabhängig lebt er daraufhin als Werbetexter in Berlin, wo er nach einer Geschlechtsumwandlung ganz eigener Art als Michaela Kirchner eine Tochter zur Welt bringt. Hvoreckýs Schelmenroman ist eine Geschichte über das sich wandelnde Europa zwischen Ost und West, zwischen Gegenwart und Zukunft, und über die Exzesse der Globalisierung. In seinen manchmal grotesken Reflexionen über die Gesellschaft steht er in der Tradition von Michel Houellebecq und Matias Faldbakken.
Michal Hvorecký schreibt meist auf Slowakisch. Sein erstes deutsches Theaterstück »Slowakisches Institut. Eine Satire« feierte 2009 im Theater Forum Schwechat Premiere. Seine Essays und Erzählungen erscheinen in der »FAZ«, der »Zeit« und verschiedenen Zeitschriften. 2009 erhielt er in Berlin den Internationalen Journalistenpreis in Berlin.
2012 erschien sein Roman »Tod auf der Donau«, eine Satire auf die Auswüchse des Tourismus. Der Protagonist ist ein mittelloser Übersetzer, der sich durch Bespaßung amerikanischer Touristen auf Kreuzfahrtsschiffen seinen Lebensunterhalt verdienen muss. Zusammen mit Hvoreckýs Alter Ego reist man bei der Lektüre über das 3000 Kilometer lange Gewässer von Regensburg bis ans Schwarze Meer, erkundet die Wege des geschichtsträchtigen Flusses und passiert das Tor zum Osten: »Keine andere Stadt an der Donau wurde so oft zerstört und danach wieder aufgebaut wie Belgrad. Die Donau war für Belgrad und ganz Serbien eine wahre Lebensader gewesen: Barock, Aufklärung, Sauerkraut und Psychoanalyse.« Der Roman »Tod auf der Donau« zeigt zudem das Schicksal einer Generation, die auf der Suche nach Arbeit und einer Heimat ein Wanderleben führt.
Hvorecký lebt als freier Autor in Bratislava.
© internationales literaturfestival berlin
Jäger und Sammler
Erzählungen
Triton
Wien, 2004
[Ü: Mirko Kraetsch]
City – Der unwahrscheinlichste aller Orte
Tropen
Berlin, 2006
[Ü: Mirko Kraetsch]
Eskorta
Tropen/Klett-Cotta
Stuttgart, 2009
[Ü: Mirko Kraetsch]
Die Zukunft des Kapitalismus
Aufsatzsammlung
[Hrsg. Frank Schirrmacher u. Thomas Strobl]
Suhrkamp
Berlin, 2010
Tod auf der Donau
Tropen/Klett-Cotta
Stuttgart 2012
[Ü: Michael Stavarič]