23. ilb 06. – 16.09.2023

Martin Walser

Martin Walser wurde 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren. Er studierte Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie in Regensburg und in Tübingen, wo er 1951 mit einer Arbeit über Franz Kafka promovierte. 1949 bis 1957 arbeitete Walser beim Süddeutschen Rundfunk als Reporter, Regisseur und Hörspielautor. Seit 1953 gehörte er der Gruppe 47 an, deren Preis er 1955 für eine seiner ersten Erzählungen, »Templones Ende«, erhielt. Für seinen ersten Roman »Ehen in Philippsburg« (1957) erhielt er den Hermann-Hesse-Preis. Seine Arbeit umfasst neben Prosawerken auch Theaterstücke, Drehbücher, Hörspiele und Übersetzungen sowie eine Vielzahl von Aufsätzen, Reden und Vorlesungen. 1978 veröffentlichte der Autor mit dem Band »Ein fliehendes Pferd« einen Klassiker deutscher Nachkriegsliteratur. Walser schildert hier die Geschichte des Studienrates Halm, eines typisch Walserschen Antihelden, der seinen Urlaub mit seiner Frau in einem Winkel am Bodensee verbringt, weil er glaubt, nur in einem Zustand größtmöglicher Lethargie ausharren zu können. Walser bezeichnet sich selbst als »literarischen Experten für Identitätsbeschädigung«. Seine meist aus dem Kleinbürgertum stammenden Protagonisten – von Identitätsproblemen, Minderwertigkeitsgefühlen und Abhängigkeitsverhältnissen geplagte Figuren – werden mit inneren Monologen charakterisiert, ihre Schwächen mittels Ironie so präzise wie komisch dargestellt. Mit Vorliebe führt er seine Protagonisten durch mehrere Romane, so etwa die Figur des Anselm Kristlein in der Trilogie »Halbzeit« (1960), »Das Einhorn« (1966) und »Der Sturz« (1973). 2004 erschien »Der Augenblick der Liebe«, der dritte Roman um den Protagonisten Gottlieb Zürn nach »Das Schwanenhaus« (1980) und »Die Jagd« (1988). Im selben Jahr veröffentlichte Walser auch die Essaysammlung »Die Verwaltung des Nichts« (2004).

Nach Erscheinen des Romans »Ein springender Brunnen« (1998), in dem der Autor seiner Jugend in Wasserburg während des Dritten Reiches nachspürt, erhielt Walser den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. »Der Autor der deutschen Einheit«, so die Preisbegründung, habe »den Deutschen das eigene Land und der Welt Deutschland erklärt und wieder nahegebracht«. Auf seine Dankesrede, in der er »die Instrumentalisierung von Auschwitz« als »Moralkeule« kritisierte, reagierten einige Stimmen mit dem Vorwurf, er propagiere den Schlussstrich unter die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands. Die daraus resultierende »Walser-Bubis-Debatte«, wie auch die späteren Reaktionen auf den 2002 erschienen Roman »Tod eines Kritikers«, markieren in ihrer Heftigkeit die intellektuellen und moralischen Beliebigkeiten und Unschärfen in der Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit. Seine Tagebücher aus den Jahren 1951 bis 1962 erschienen unter dem Titel »Leben und Schreiben« (2005). Zuletzt veröffentlichte er die Lyriksammlung „Das geschundene Tier: Neununddreißig Balladen“ (2007).

Walser, der neben seiner literarischen Tätigkeit auch immer wieder kontrovers zu aktuellen politischen Themen Stellung bezogen hat, zählt zu den bedeutendsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur und hat für sein literarisches Werk zahlreiche Preise erhalten, darunter 1981 den Georg-Büchner-Preis. Er wurde mit dem Orden »Pour le Mérite« ausgezeichnet und zum Officier de L’Ordre des Arts et des Lettres ernannt. Walser lebt in Überlingen am Bodensee.

© internationales literaturfestival berlin

Bibliographie

Ehen in Philippsburg
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1958
 
Eiche und Angora: eine deutsche Chronik
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1962
 
Halbzeit
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1962
 
Ein Flugzeug über dem Haus und andere Geschichten
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1963
 
Der schwarze Schwan
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1964
 
Überlebensgroß Herr Krott: Requiem für einen Unsterblichen
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1964
 
Eiche und Angora: eine deutsche Chronik
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1964
 
Das Einhorn
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1966
 
Heimatkunde: Aufsätze und Reden
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1968
 
Ein Kinderspiel: Stück in zwei Akten
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1970
 
Aus dem Wortschatz unserer Kämpfe
Verl. Eremiten-Presse
Stierstadt, 1971
Ill: Peer Wolfram
 
Beschreibung einer Form: Versuch über Franz Kafka
Ullstein
Frankfurt/Main,  1973
 
Das Sauspiel: Szenen aus dem 16. Jahrhundert
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1975
 
Ein fliehendes Pferd
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1978
 
Seelenarbeit
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1979
 
In Goethes Hand: Szenen aus dem 19. Jahrhundert
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1982
 
Brief an Lord Liszt
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1982
 
Brandung
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1985
 
Auskunft: 22 Gespräche aus 28 Jahren
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1991
 
Kaschmir in Parching: Szenen aus der Gegenwart
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1995
 
Vormittag eines Schriftstellers
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1996
 
Deutsche Sorgen
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1997
 
Finks Krieg
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1998
 
Die Verteidigung der Kindheit
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 2002
 
Ohne einander
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 2002
 
Ein springender Brunnen
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 2002
 
Tod eines Kritikers
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 2002
 
Meßmers Reisen
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 2003
 
Der Augenblick der Liebe
Rowohlt
Reinbek, 2004
 
Die Verwaltung des Nichts
Rowohlt
Reinbek, 2004
 
Leben und Schreiben: Tagebücher 1951-1962
Rowohlt

Reinbek, 2005

Der Lebensroman des Andreas Beck
Isele
Eggingen, 2006

Angstblüte
Rowohlt
Reinbek, 2006

Winterblume: Über Bücher von 1951 bis 2005
Isele
Eggingen, 2007

Das geschundene Tier: Neununddreißig Balladen
Rowohlt
Reinbek, 2007