Mario Desiati
- Italien
- Zu Gast beim ilb: 2012
Mario Desiati wurde 1977 in Locorotondo in Apulien geboren und wuchs in Martina Franca in der Provinz Tarent auf. Nach dem Abschluss seines Jurastudiums in Bari 2000 arbeitete er in einer Anwaltskanzlei und veröffentliche eine Reihe von Essays zu zivilrechtlichen Themen. 2003 zog er nach Rom, wo er bei der Literaturzeitschrift »Nuovi Argomenti« tätig war, die 1953 von Alberto Moravia mitbegründet wurde. Trotz seiner kleinen Auflage gilt das traditionsreiche Magazin als fester Bestandteil des italienischen Literaturbetriebs. In dieser Zeit arbeitete Desiati außerdem als Lektor bei Arnoldo Mondadori Editore, dem größten Verlagsunternehmen Italiens.
2003 erschien sein literarisches Debüt, der Roman »Neppure quando è notte« (Ü: Auch wenn es Nacht ist), gefolgt von einem Gedichtband »Le luci gialle della contraerea« (2004; Ü: Die gelben Lichter der Flak). Sein Roman »Il paese delle spose infelici« (2008; Ü: Land der unglücklichen Gattinnen), der in unbeschwertem Ton von einer Jugend in den Achtzigern, im Besonderen von der Freundschaft zwischen zwei Jungen und einem geheimnisvollen Mädchen, erzählt, wurde 2011 verfilmt und während des Filmfestivals Rom uraufgeführt. Desiatis jüngster Roman »Ternitti« (2011; dt. »Zementfasern«, 2012) basiert auf wahren Begebenheiten, die er über viereinhalb Jahre hinweg recherchiert und fiktiv rekonstruiert hat. Er beleuchtet darin ein tragisches und wenig beachtetes Kapitel in der Geschichte der italienischen Arbeitsmigration in den siebziger Jahren: Zahllose Gastarbeiter vergifteten sich damals unwissentlich in einer Schweizer Asbestfabrik unweit von Zürich. Als junges Mädchen kommt die Protagonistin Mimi aus einem kleinen Dorf in Apulien mit ihren Eltern Mitte der Siebziger in die Schweiz, wo ihr Vater in einer Fabrik für Baumaterial, im Jargon der Arbeiter »Ternetti« genannt, u. a. auch dem gefährlichen Blauasbest ausgesetzt ist. In insgesamt sieben Episoden und über nahezu vier Jahrzehnte hinweg erzählt Desiati bis in die Gegenwart von der Emigration, der Fabrikarbeit, den gesundheitlichen Folgen und den Todesopfern, welche sie forderte, und nicht zuletzt von den oft ernüchternden Bemühungen der Hinterbliebenen, späte Gerechtigkeit und Beachtung für ihre Nöte einzufordern. Gleichzeitig handelt es sich auch um ein starkes Frauenporträt, das von Mimis erster Liebe, der Rückkehr in die süditalienische Heimat bis zum Heranwachsen ihrer eigenen Tochter reicht.
Für sein literarisches Schaffen wurde Desiati mit dem Premio Mondello und dem Premio Vittorio Bodini ausgezeichnet. Zuletzt wurde »Ternitti« 2011 für den renommierten Premio Strega nominiert. Mario Desiati ist seit 2008 Lektor im Verlag Fandango und schreibt u. a. für die Tageszeitungen »La Repubblica« und »L’Unità«. Er lebt in Rom.
© internationales literaturfestival berlin
Neppure quando è notte
peQuod
Ancona, 2003
Vita precaria e amore eterno
Arnoldo Mondadori Editore
Mailand, 2006
Il paese delle spose infelici
Arnoldo Mondadori Editore
Mailand, 2008
Foto di classe. U uagnon se n’asciot
Laterza
Rom/Bari, 2009
Zementfasern
Wagenbach
Berlin, 2012
[Ü: Annette Kopetzki]