Marie NDiaye
- Deutschland, Frankreich
- Zu Gast beim ilb: 2008, 2017
Marie NDiaye wurde 1967 in Pithiviers geboren. Sie wuchs in einem südlichen Vorort von Paris auf, wohin ihre französische Mutter nach der Trennung vom senegalesischen Vater gezogen war.
NDiaye gilt als »Wunderkind der französischen Literatur«. Ihr erster Roman – eine an Proust geschulte Befindlichkeitsstudie eines jungen Mannes – erschien, als sie 17 Jahre alt war. Ihr ebenso fulminantes wie kunstvolles Nachfolgewerk »Comédie classique« (1987) besteht aus einem einzigen Satz, der sich über hundert Seiten erstreckt. Seitdem hat sich ihre Sprache sukzessive vereinfacht, ohne die Raffinesse genauester Beobachtung und den charakteristischen Ton von unterschwelliger Bedrohung zu verlieren. Kritiker stellten sie deswegen in die Tradition von Kafka, James und Faulkner. Im Mittelpunkt ihrer Romane stehen oft ungeklärte Geheimnisse und Außenseiter, die sich mit unzureichenden Kräften und einem Gefühl der Unterlegenheit und Überforderung um Anerkennung bemühen. In »En famille« (1990; dt. »Die lieben Verwandten«, 1993) beispielsweise kehrt eine 18-Jährige nach einer längeren Reise zu ihrer Familie zurück und arrangiert sich mühevoll mit der Tatsache, dass sie nicht wiedererkannt wird. In dem preisgekrönten Roman »Rosie Carpe« (2001; dt. 2005) folgt eine Frau, die ein Kind erwartet, ohne sich an den Zeugungsvorgang erinnern zu können, ihrer Familie von Frankreich nach Guadeloupe, wo sie dem Teufelskreis aus eigener Unbeholfenheit, elenden Verhältnissen und einer verrohten Umwelt erfolglos zu entfliehen versucht. In »Mon cœur à l’étroit« (2007; dt. »Mein Herz in der Enge«, 2008) wird ein gutbürgerliches Lehrerehepaar plötzlich selbst von den eigenen Kindern geächtet. NDiayes mit dem Prix Goncourt 2009 ausgezeichneter, hochpolitischer und feministischer Roman »Trois femmes puissantes« (2009; dt. »Drei starke Frauen«, 2010) zeigt die Familie als Keimzelle von Gewalt. »Ladivine« (2013; dt. 2014) ist die verstörend-kafkaeske Geschichte eines Lehrers, dessen Frau und Sohn im Urlaub auf unerklärliche Weise verschwinden. Auf der Suche nach ihnen gerät er in ungekannte Parallelwelten und verliert alle bis dahin geltenden Gewissheiten. In ihrem jüngsten Roman »La Cheffe, roman d’une cuisinière« (2016; dt. »Die Chefin. Roman einer Köchin«, 2017), einer Antibiografie, die sich auch der Nennung von Lebensdaten verweigert, erzählt sie von einer Köchin aus einfachen Verhältnissen, die schließlich ein Restaurant in Bordeaux eröffnet.
NDiaye war Stipendiatin der Villa Medici in Rom und wurde u. a. mit dem Prix Femina und dem Nelly-Sachs-Preis ausgezeichnet. Neben ihren Romanen veröffentlichte sie Essays, Kurzgeschichten und Kinderbücher. Auch als Bühnenautorin ist sie erfolgreich. »Papa doit manger« (2003; dt. »Papa muss essen«, 2003) ist das zweite Drama einer Schriftstellerin, das in das Repertoire der Comédie Française aufgenommen wurde. Seit 2007 lebt sie in Berlin.
P.O.L.
Paris, 1987
Die lieben Verwandten
Hanser
München, 1993
[Ü.: Rolf Wintermeyer]
Die Hexe
Kunstmann
München, 1997
[Ü.: Andrea Spingler]
Rosie Carpe
Suhrkamp
Frankfurt a. M., 2005
[Ü.: Claudia Kalscheuer]
Alle meine Freunde
Suhrkamp
Frankfurt a. M., 2006
[Ü.: Claudia Kalscheuer]
Mein Herz in der Enge
Suhrkamp
Frankfurt a. M., 2008
[Ü.: Claudia Kalscheuer]
Drei starke Frauen
Suhrkamp
Berlin, 2010
[Ü.: Claudia Kalscheuer]
Selbstporträt in Grün
Arche
Zürich/Hamburg, 2011
[Ü.: Claudia Kalscheuer]
Ein Tag zu lang
Suhrkamp
Berlin, 2012
[Ü.: Claudia Kalscheuer]
Ladivine
Suhrkamp
Berlin, 2014
[Ü.: Claudia Kalscheuer]
Die Chefin
Roman einer Köchin
Suhrkamp
Berlin, 2017
[Ü.: Claudia Kalscheuer]