Leo Tuor
- Schweiz
- Zu Gast beim ilb: 2001
Leo Tuor wurde 1959 in Rabius im Schweizer Kanton Graubünden geboren. Seine Gymnasialzeit verbrachte der gebürtige Rätoromane auf dem deutschen Internat der Benediktiner in Disentis. Danach studierte er Philosophie, Geschichte und Literatur in Zürich, Fribourg und Berlin. Ausgebildet zum Sekundarlehrer, ist Tuor hauptsächlich als kritischer Publizist und Herausgeber tätig. Bereits in den Jahren 1981 bis 1985 war er als Redakteur der rätoromanischen Studentenzeitung „la Talina“ den heimischen Notablen unbequem. Die Sommermonate verbringt der Autor seit 17 Jahren als Hirte – zunächst von Kühen, dann von Schafen – in den Alpen. In der übrigen Zeit lebt er in Val in Graubünden, veröffentlicht Prosa, Lyrik und Essays in Zeitungen, Zeitschriften, Anthologien oder Sachbüchern. Er ist außerdem als Übersetzer tätig. Von 1989 bis 2000 arbeitete Tuor, zusammen mit Iso Camartin, an einer sechsbändigen kritischen Werkausgabe des rätoromanischen Dichters und Historikers Giacun Hasper Muoth (1844-1906).
1988 trat Tuor mit dem umfangreicheren Prosaband „Giacumbert Nau“ an die Öffentlichkeit. Die Geschichte eines Alpenhirten, im Original auf rätoromanisch verfasst, erschien bald auch in deutscher und französischer Übersetzung und wurde 1998 in einer Vertonung mit Saxophon aufgenommen. Für dieses Werk, das die Tradition des Hirtengedichts aufnimmt und verfremdet, erhielt der Autor den Preis der Schweizerischen Schillerstiftung. 2004 wurde Tuor für seine Lyrik mit dem Hermann-Lenz-Förderpreis ausgezeichnet; im gleichen Jahr erschien der Prosaband „Onna Maria Tumera oder die Vorfahren“, in dem von der unwiederbringlich verlorenen Vergangenheit des Bündner Oberlands in den letzten vierzig Jahren erzählt wird: Poetisch und doch kritisch portraitiert Tuor die Sozialstruktur des Dorfes und seine normkonformen, skurrilen und außergewöhnlichen Persönlichkeiten.
Mit seinen bissigen Angriffen auf die geistigen und weltlichen Autoritäten des Alpenlandes, auf Priester und Hotelbesitzer gleichermaßen, stellt sich Tuor in kritische Distanz zu seiner Heimat, der er sich in anderer Hinsicht fast nostalgisch verbunden fühlt. Künstlerische Freiheiten nimmt er sich auch in Bezug auf die Grammatik-, Syntax- und Rechtschreibungsregeln seiner Muttersprache heraus und durchsetzt seine Werke mit deutschen oder umgangssprachlichen Ausdrücken. Andererseits verfolgt er ein Ideal einfacher Sprache, das nur noch die alten Rätoromanen lehren können.
© internationales literaturfestival berlin
Giacumbert Nau
Ocotpus
Chur, 1988
Übersetzung: Peter Egloff
Onna Maria Tumera oder die Vorfahren
Limmat-Verlag
Zürich, 2004
Übersetzung: Peter Egloff