Lee Hochol
- Südkorea
- Zu Gast beim ilb: 2003
Lee Hochol , 1932 nahe der Hafenstadt Wonsan im heutigen Nordkorea geboren, wurde kurz nach Ausbruch des Bürgerkrieges 1950 zum Dienst in der Volksarmee eingezogen. In Kriegsgefangenschaft begegnete er zum ersten Mal westlich geprägten Landsleuten aus dem Süden Koreas, deren Leben ihm freier und selbstbestimmter erschien. Er entschloss sich nach seiner Freilassung in Südkorea zu bleiben, und kehrte auch nach dem Ende des Krieges im Juli 1953 nicht in seine Heimat zurück. Heute lebt Lee Hochol als Schriftsteller in der Nähe von Seoul. Seit 1997 ist er Gastprofessor an der dortigen Kyongwon Universität. Für seine Essays, Erzählungen und Romane wurde er mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, unter anderem mit dem Literaturpreis der Republik Korea.
Die Erfahrungen während des Krieges und die frühe Trennung von Heimat und Familie haben Lee Hochols künstlerisches Schaffen nachhaltig beeinflusst. In seinem Erstlingswerk „Talhyang“ (1955; Ü: Fern der Heimat) verarbeitet er die Erlebnisse aus jener Zeit. Immer wieder steht das Leben einfacher Menschen im Zentrum seiner Geschichten, so etwa in der 1962 erschienenen Erzählung „Tarajinun Saldul“ (Ü: Geschlagene Menschen), für die er den renommierten Dongin Literaturpreis erhielt. Aber auch als Autor satirischer Werke, wie dem Roman „Kongbok sahoe“ (1968; Ü: Die Welt der Beamten), erlangte er seit den sechziger Jahren Popularität. Trotz des literarischen Erfolges blieb Lee Hochol lange ein gesellschaftlicher Außenseiter, da er sich als „Linker“ und Fürsprecher der einfachen Menschen politisch unbeliebt machte. So wurde er in den achtziger Jahren wegen seines Engagements für die Demokratisierungsbewegung politisch verfolgt und zeitweise sogar inhaftiert.
1996 erschien der autobiografisch geprägte Roman „Namnyok saram puknyok saram“ (dt. „Menschen aus dem Norden, Menschen aus dem Süden“, 1996) in deutscher Übersetzung. Aus der Perspektive eines 18-jährigen Volksarmisten, der während des Bürgerkriegs in südkoreanische Gefangenschaft gerät, werden Willkür, aber auch Humanität auf beiden Seiten der Front geschildert. Mit Nachdruck wies der Autor die Interpretation einiger Kritiker zurück, das Buch sei eine Verurteilung des nordkoreanischen Systems. Lee Hochol geht es vielmehr um eine Verständigung zwischen den beiden Brudervölkern. Der Roman „Sosimin“ ( 2004; dt. „Kleine Leute“, 2004) liefert ein Sittengemälde Südkoreas zur Zeit des Bürgerkrieges. Aus der Sicht eines Ich-Erzählers erfährt der Leser, wie Anfang der 50er Jahre die traditionellen Gesellschaftsformen und Wertesysteme zusammenbrechen und sich eine Schicht von Neureichen etabliert.
In seinem Werk beschreibt Hochol unparteiisch und frei von ideologischer Schärfe die Folgen des Krieges und der Teilung Koreas. Nicht die Gegensätze beider Staaten stehen bei ihm im Vordergrund, sondern der individuelle Mensch und die Frage, wie sein Leben von den politischen Verhältnissen geprägt wird. In Zeiten vorsichtiger Annäherung zwischen Nord- und Südkorea erfährt das Werk Hochols wohl gerade deshalb eine neue Würdigung.
© internationales literaturfestival berlin
Menschen aus dem Norden, Menschen aus dem Süden
Pendragon
Bielefeld, 2002
Übersetzung: Ahn In-Kyoung, Heidi Kang
Kleine Leute
Pendragon
Bielefeld, 2004
Übersetzung: Heike Lee
Übersetzer: Ahn In-Kyoung, Heidi Kang, Heike Lee