Jorge Franco
Jorge Franco wurde 1962 in Medellín, Kolumbien, geboren. Er studierte Filmregie an der International Film School in London und Literatur an der Pontificia Universidad Javeriana in Bogotá. Nach seinen ersten beiden preisgekrönten Publikationen – dem Erzählband »Maldito amor« (1996; Ü: Verfluchte Liebe) und dem Roman »Mala noche« (1997; Ü: Schlimme Nacht) – wurde er mit dem Roman »Rosario Tijeras« (1999; dt. »Rosario Tijeras«, 2002; »Die Scherenfrau«, 2004) international bekannt. Vor dem Hintergrund von Gewalt und Drogenhandel im Medellín der achtziger Jahre wird die Geschichte der Protagonistin Rosario entsponnen, einer jungen Auftragskillerin. Der Erzähler, sowohl Vertrauter als auch heimlicher Verehrer von Rosario, rekonstruiert in sukzessiven Rückblenden wichtige Stationen ihrer schmerzvollen Vergangenheit, während er in den Korridoren eines Krankenhauses auf die durch Schussverletzungen schwer verwundete Freundin wartet.
Mit seinen Darstellungen der urbanen Konflikte zählt Franco zu der lateinamerikanischen Schriftstellergeneration »McOndo«. Der Begriff – der durch die Anspielung auf García Márquez’ fiktives Dorf Macondo eine Distanzierung vom Magischen Realismus ausdrückt – steht für einen neuen urbanen Realismus, der Themen wie Kriminalität, Armut und Sexualität aufgreift. Francos besonderes Interesse gilt den gesellschaftlichen Missständen und dem menschlichen Elend, das sie hervorrufen: »Die Kunst muss aus der Benommenheit aufrütteln.«
Sein zweiter Roman »Paraíso Travel« (2001; dt. »Paraíso Travel«, 2005) schildert das junge kolumbianische Paar Reina und Marlon, die sich mithilfe der zweifelhaften Reiseagentur »Paraíso Travel« in den USA eine gemeinsame Zukunft aufbauen wollen. Doch bereits kurz nach ihrer Ankunft in New York verirrt sich Marlon im Labyrinth der Straßen. Auf seiner verzweifelten Suche nach Reina lernt er die Kehrseite des amerikanischen Traums kennen: das von Entwurzelung, Einsamkeit und Angst geprägte Leben vieler Immigranten in den USA. In Francos nicht-linearer Erzählweise kommt seine Affinität zu Kino und Fernsehen zum Ausdruck. Mithilfe von filmischen Mitteln wie Rückblenden und Zeitsprüngen werden unterschiedliche temporale Ebenen etabliert, auf denen die virtuose Konstruktion seiner Romane beruht. Nach der erfolgreichen Verfilmung von »Rosario Tijeras« – meistgesehener Film in Kolumbien 2005 – ist auch »Paraíso Travel« filmisch adaptiert worden.
Mit seinem zuletzt erschienenen Roman, der den programmatischen Titel »Melodrama« (2006) trägt, wendet sich Franco – in der Tradition des argentinischen Schriftstellers Manuel Puig – diesem in Lateinamerika sehr populären Genre zu. Er überschreitet jedoch die Gattungsgrenzen, indem er bei der charakteristisch ausschweifenden Darstellung von Emotionen und Intrigen eine genuin literarische Ambiguität bewahrt, die eindeutige Lektüren der gekonnt ineinander verflochtenen Geschichten verhindert.
Der Autor wurde u.a. mit dem kolumbianischen Literaturpreis »Pedro Gómez Valderrama« und dem spanischen Premio Hammet ausgezeichnet. García Márquez bezeichnete Franco als »einen von denjenigen kolumbianischen Schriftstellern, an die ich meine Fackel weitergeben möchte«. Er lebt in Bogotá.
© internationales literaturfestival berlin
Maldito amor
Universidad Central
Bogota, 1996
Mala noche
Plaza & Janés
Bogota, 1997
Rosario Tijeras
Unionsverlag
Zürich, 2002
[Ü: Susanna Mende]
Die Scherenfrau
Unionsverlag
Zürich, 2004
[Ü: Susanna Mende]
Paraíso Travel
Unionsverlag
Zürich, 2005
[Ü: Susanna Mende]
Melodrama
Planeta
Bogota, 2006
Übersetzer: Susanna Mende