Jochen Schmidt
Jochen Schmidt wurde 1970 in Ostberlin geboren. Während seines Studiums unternahm er mehrere Sprachreisen, arbeitete später an der Universität und war als Übersetzer tätig, wobei er u. a. die Graphic Novels »Shenzhen« und »Pjöngjang« des Frankokanadiers Guy Delisle ins Deutsche brachte. Als umtriebiger Mitbegründer der wöchentlichen Lesebühne Chaussee der Enthusiasten in Berlin, die bis Ende 2015 bestand, reichte sein Textspektrum von Kurzgeschichten, Zeitungskolumnen und Comic-Skripten bis hin zu Reiseberichten und aberwitzigen Notaten.
»Triumphgemüse« (2000), Schmidts erste Veröffentlichung, besticht durch eine nicht enden wollende Anzahl schrulliger Charaktere, die in ihrer spröden Würde dargestellt werden. Der hyperreale Blick auf zahlreiche Episoden der Nach-Wende-Zeit, eingebettet in eine milde Melancholie, entlockt den Figuren − etwa in der preisgekrönten Geschichte »Harnusch mäht als wärs ein Tanz« − eine lakonische Kraft, die jene Texte meisterhaft rhythmisiert. Dass dieses Debüt aber auch ein Parforceritt durch die Literatur und eine private Aneignungsgeschichte darstellt, zeigt sich etwa in dem Erzähler Jürgen Reip, wenn sich dieser immerzu beiläufig eingesteht: »Ich war eben nach wie vor nicht Hemingway. Und wenn doch, dann war es für Außenstehende ziemlich schwer zu erkennen.« Die »scheinbar unendliche Lust am Erzählen« (»Frankfurter Allgemeine Zeitung«), in der sich Schmidts emphatisches Verhältnis zur Sprache ausdrückt und die ihn mit seinem folgenden Buch »Müller haut uns raus« (2002) zu einer Art biografischem Entwicklungsroman führte, mündete 2004 in die »Gebrauchsanweisung für die Bretagne«. Einerseits stilisiert er hier die Bretagne zu einer Region skurriler Außenseiter, die in kargen Landstrichen und wilden Küstenregionen gleichsam den Osten im Westen bevölkern, andererseits wird hier die Reiseliteratur als strikt subjektive literarische Gattung neu erfunden, wobei der Leser dem Autor beim Beobachten zusieht. Entsprechend erschienen weitere Gebrauchsanweisungen für Rumänien (2013) und Ostdeutschland (2015). In dem Roman »Schneckenmühle« (2013) ist nicht nur die Pubertät für den 14-jährigen Jens eine Zeit der Veränderung, vielmehr ist die DDR im Sommer 1989 ebenfalls reif für einen Umbruch, wovon Schmidt mit großer Wärme, Detailfreude und Komik erzählt. Pressestimmen zu dem jüngsten Werk »Der Wächter von Pankow« (2015) verglichen den Autor mit Marcel Proust, an dessen Klassiker »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« er sich 2008 in »Schmidt liest Proust« abgearbeitet hatte, indem er seine tägliche Lektüre dieses übermächtigen Werks facettenreich offenlegte. Immer wieder schlägt der Kommentar dabei um in einen Text über die subjektiven Umstände des Lesens und die Transformationen durch ebenjenen Text.
Der Autor lebt in Berlin.
Triumphgemüse
C. H. Beck
München, 2000
Schmidt liest Proust
Voland & Quist
Dresden/Leipzig, 2008
Schneckenmühle
C. H. Beck
München, 2013
Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland
Piper
München, 2015
Der Wächter von Pankow
C. H. Beck
München, 2015