Jeffrey Yang
- USA
- Zu Gast beim ilb: 2017
Der Lyriker und Übersetzer Jeffrey Yang wurde 1974 in Escondido, Kalifornien, geboren und studierte Tierphysiologie und Literatur.
2008 veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband »An Aquarium« (dt. »Ein Aquarium«, 2012). In den 55 Kurzgedichten seines Debüts präsentiert er alphabetisch von »Abalone« bis »Zooxanthellae« eine farbenfrohe und gleichzeitig unheilverkündende Unterwasserwelt, in der sich Beobachtungen über Krieg, Umweltzerstörung und Sprache verbergen. Neben Ozeanologie und Ichthyologie bringt Yang auch die chinesische klassische Lyrik, Hindu-Mythen und den politischen Witz ein: »The U.S. is a small fish / with a false head«. Es treffen Geschichte und Gegenwart aufeinander: Ein Gedicht rühmt den italienischen Revolutionär Garibaldi, ein anderes behauptet, Google sei ein Meer des Bewusstseins, ein drittes kritisiert die amerikanischen Atomwaffentests im Bikini-Atoll. In freien Versen und prägnanten sprachlichen Bildern verknüpft Yang die asiatische, europäische und amerikanische Literatur mit den Naturwissenschaften, stellt Bezüge her zu hawaiianischen Sprichwörtern, zum Alten Ägypten, zu Aristoteles, Jules Verne, Borges und anderem mehr. Vielfach wirken die Gedichtanfänge wie ein verbales Aufbäumen, bevor sich vereinzelte Wörter zu grammatischen Strukturen verdichten und in eine Sprachmelodie münden. Jeffrey Yangs darauffolgendes Langgedicht »Vanishing-Line« (2011; dt. »Yennecott«, 2015) erforscht verschiedene Linien – Horizontlinien, Blutlinien, Zeitlinien, lyrische Zeilen –, hinter denen viele Dinge aus dem Blickfeld, aus dem Gedächtnis verschwinden. »Yennecott« ist die Bezeichnung der Corchaug-Indianer für einen ehemaligen Teil von Long Island. Mit den Bewohnern sind auch die Namen der Orte verschwunden. Jeffrey Yang schafft einen poetischen Gedächtnisraum und dringt in die tiefen Schichten der amerikanischen Siedlungsgeschichte vor. Mit historischer Genauigkeit, reich an lyrischen Assoziationen und mit künstlerischer Virtuosität zeichnet das Poem eine Collage von Verlusten privater Natur und solchen, die eine Nation definieren. Zitate aus historischen Quellen, zum Beispiel eines Vertragstextes aus dem 17. Jahrhundert, werden unverändert in den Fluss des Gedichts gefügt, was das Dokumentarische besonders akzentuiert. Auch Zitate von anderen Dichtern, die in keinem Bezug zur Eroberung Amerikas stehen, gehören zum sprachlichen Arsenal des Langgedichts und heben es aus der historischen Verortung in einen größeren Raum-Zeit-Kontext.
Für seinen ersten Gedichtband »Ein Aquarium« wurde Jeffrey Yang mit dem PEN/Joyce Osterweil Award for Poetry ausgezeichnet. Er ist zudem als Übersetzer aus dem Chinesischen tätig; zu den von ihm übersetzten Autoren gehören Bei Dao, Liu Xiaobo, Ahmatjan Osman und Su Shi. Außerdem arbeitet er als Lektor in den Verlagen New Directions und NYRB Classics. Jeffrey Yang lebt in Beacon, New York und ist 2017 Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD.
Ein Aquarium
Berenberg
Berlin, 2012
[Ü: Beatrice Faßbender]
Yennecott
Berenberg
Berlin, 2015
[Ü: Beatrice Faßbender]