Jaroslav Rudiš
Der tschechische Schriftsteller und Dramatiker Jaroslav Rudiš wurde 1972 im böhmischen Turnov geboren. Nach seinem Germanistik- und Geschichtsstudium in Liberec, Prag und Zürich arbeitete er kurzzeitig als Deutschlehrer, bis er durch ein Journalistenstipendium nach Berlin kam.
In seinem ersten Roman »Nebe pod Berlínem« (2002; dt. »Der Himmel unter Berlin«, 2004) wird die hauptstädtische Unterwelt zum Sammelpunkt für Straßenmusiker, Selbstmörder, rechtschaffene Arbeiter und Obdachlose. Rudiš kreierte eine tragikomische Welt, welche von Außenseitern bevölkert ist, die er mit viel Liebe begleitet: »Hrabal ist mir auf jeden Fall ein Vorbild, allein schon sprachlich. Aber auch vom Sujet her: diese kleinen Helden, die die große Welt beschreiben. Und die darüber mehr wissen als irgendwelche Intellektuellen. Kleine Helden und Outsider, das ist meine Welt« (Interview von 2003). Auch in seinem zweiten Roman »Grandhotel« (2006; dt. 2008) ist ein gestrandeter Außenseiter der Held einer bizarren Geschichte an einem abgelegenem Ort. In der Spitze einer neunzig Meter hohen Rakete lebt Fleischman als Hilfskraft. Er träumt davon, diesen Ort zu verlassen, wird aber von immer wiederkehrenden Panikattacken daran gehindert. Der Roman wurde 2006 in Tschechien verfilmt. Rudiš verfasste das Drehbuch und spielte in einer Nebenrolle mit. »Potichu« (2007; dt. »Die Stille in Prag«, 2012) fängt das Lebensgefühl der tschechischen Hauptstadt in den verstrickten Geschichten fünf unterschiedlicher Charaktere ein, »Národní třída« (Ü: Nationalallee) greift die oft enttäuschten Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Kommunismus auf. In »Konec punku v Helsinkách« (2010; dt. »Vom Ende des Punks in Helsinki«, 2014) bricht Ole, nachdem seine Bar »Helsinki« geschlossen worden ist, zu einer Reise nach Tschechien an den dunkelsten Punkt seiner Vergangenheit auf: 1987 versuchte er mit seiner Freundin Nancy über die grüne Grenze zu fliehen, und Nancy ließ ihr Leben.
In deutscher Sprache arbeitete Rudiš zusammen mit Martin Becker an den Hörspielen »Lost in Praha« und »Plattenbaucowboys« (WDR, 2008/2011) sowie dem Opernlibretto »Exit 89« (Berlin und Prag, 2008). Gemeinsam mit Jaromír Švejdík ist er Schöpfer der Comic-Figur Alois Nebel, deren düstere wie auch bierselige Erlebnisse im Dienste der tschechischen Eisenbahn in einem 2012 mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichneten Animationsfilm verarbeitet wurden. Rudiš erhielt 2002 den Jiří-Orten-Preis für seinen Debütroman, wurde 2007 neben Vertretern aus Politik und Gesellschaft zu den dreißig bedeutendsten Persönlichkeiten Tschechiens gewählt, hatte 2012/13 die Siegfried-Unseld-Gastprofessur an der Humboldt-Universität zu Berlin inne und wurde 2014 mit dem Usedomer Literaturpreis geehrt. 2013 hat er die Kafka Band, die den Roman »Das Schloss« von Franz Kafka musikalisch umgesetzt hat, gegründet. Er lebt zwischen Tschechien und Deutschland.
Der Himmel unter Berlin
Rowohlt Berlin
Berlin, 2004
[Ü: Eva Profousová]
Grandhotel
Luchterhand
München, 2008
[Ü: Eva Profousová]
Potichu
Labyrint
Prag, 2007
Konec punku v Helsinkách
Labyrint
Prag, 2010
Alois Nebel
Trilogie
Voland & Quist
Dresden, 2012
[Eva Profousová]