Irina Liebmann
Irina Liebmann wurde 1943 in Moskau geboren. Sie wuchs als Tochter eines erfolgreichen Zeitungsmachers und hohen SED-Funktionärs in Berlin und – nach dessen Ausschluss aus der Einheitspartei – in Merseburg, Halle, auf. Nach ihrem Studium der Sinologie in Leipzig arbeitete sie bis 1975 als Redakteurin bei der Zeitschrift »Deutsche Außenpolitik«. Als freie Autorin schrieb sie u.a. Reportagen für die »Wochenpost« sowie Hörspiele und Prosa (darunter zwei Kinderbücher), Theaterstücke und seit den neunziger Jahren auch lyrische Texte, die teilweise für den mündlichen Vortrag verfasst und im Radio gesendet wurden.
Liebmanns frühe Prosa ist durch ihre Fokussierung auf Unmittelbarkeit und Wahrhaftigkeit charakterisiert. Die dokumentarischen Erzählungen in »Berliner Mietshaus« (1982) entstanden nach Besuchen und Interviews mit Bewohnern eines Hauses im Bezirk Prenzlauer Berg und geben Einblick in einen Mikrokosmos des DDR-Alltags. Der Impuls journalistischer Genauigkeit zieht sich auch durch Liebmanns spätere lyrischeren und dramatischeren Prosatexte – darunter die Erzählungen »Mitten im Krieg« (1989) oder der Bericht »Letzten Sommer in Deutschland« (1997). Bilden hier Reiseerlebnisse die Motive, so steht in Liebmanns Werk zumeist die Heimatstadt Berlin im Zentrum – z.B. in ihrem ersten Roman »In Berlin« (1994) ebenso wie in »Stille Mitte von Berlin« (2002). Hier dokumentiert Liebmann mit eigenen Fotos und einem Essay den Bezirk um den Hackeschen Markt zu einer Zeit, als die Veränderungen, die im Zuge der deutschen Einheit folgen sollten, noch nicht vorstellbar waren. Die Protagonistin aus Liebmanns letztem Roman, »Die freien Frauen« (2004), lebt ebenfalls in Berlin-Mitte. Die Suche der älteren Frau nach verschwiegenen Hintergründen ihres Lebens gerät zu einer poetischen Erzählung der jüngeren und jüngsten deutschen Geschichte überhaupt. »Wäre es schön? Es wäre schön!« (2008), der Lebensbericht über Liebmanns Vaters Rudolf Herrnstadt, vermittelt ebenfalls ein subtil gezeichnetes Geschichtsporträt. Dokumentarisch und gleichwohl impressionistisch zeichnet er das Bild eines glühenden Kommunisten, Chefredakteurs und Zeitungsgründers, der sich in seiner Arbeit aufrieb und an den rohen Machtstrukturen des real existierenden Sozialismus scheiterte.
Für ihren »fast unglaublichen Lebensbericht eines Mannes, der die Welt neu erfinden wollte« wurde Liebmann 2008 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Unter ihren weiteren Ehrungen sind der Hörspielpreis der DDR, der Ernst-Willner-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, der Aspekte-Literaturpreis, der Förderpreis zum Bremer Literaturpreis, die Ehrengabe der Deutschen Schillergesellschaft und der Berliner Literaturpreis.
Liebmann, die 1988 nach West-Berlin übergesiedelt war, hielt sich 1995 als Gast der Villa Aurora in Kalifornien und 1998/99 als Stipendiatin der Villa Concordia in Bamberg auf. 2001 war sie Gastdozentin am Oberlin College in Ohio. Sie lebt in Berlin.
© internationales literaturfestival berlin
Mitten im Krieg
Frankfurter Verlagsanstalt
Frankfurt/Main, 1989
Berliner Mietshaus
Mitteldeutscher Verlag
Halle [u.a.O.], 1982
In Berlin
Kiepenheuer & Witsch
Köln, 1994
Wo Gras wuchs bis zu Tischen hoch
EVA
Hamburg, 1995
[Ill: Xago]
Letzten Sommer in Deutschland
Kiepenheuer & Witsch
Köln, 1997
Die freien Frauen
Berlin Verlag
Berlin, 2004
Stille Mitte von Berlin
Nicolai
Berlin, 2002
Wäre es schön? Es wäre schön!
Berlin Verlag
Berlin, 2008