Hiroshi Sakagami
- Japan
- Zu Gast beim ilb: 2006
Hiroshi Sakagami wurde 1936 in Tokio geboren. In seiner nach dem Krieg auseinanderbrechenden Familie genoss er wenig Ansehen – es wurde ihm jedoch bald in der literarischen Welt zuteil. Der Debütroman des erst Neunzehnjährigen wurde für den Akutagawa-Preis nominiert. Später wurde »Aru aki no dekigoto« (1960; Ü: Ein Ereignis im Herbst) mit dem Chûôkôron-Preis ausgezeichnet. Die Kurzgeschichte beschreibt das Innenleben eines Jungen, der von dem Wunsch besessen ist, seinen gewalttätigen Bruder zu töten und mit seiner jüngeren Schwester eine sexuelle Beziehung einzugehen. Jury-Mitglied Yukio Mishima pries den Roman als »poetisch« und hob die faszinierende Wendung hervor, in der sich der Protagonist nicht für das »tötende«, sondern für das »nicht-tötende Böse« entscheidet.
Sakagami studierte an der Tokioter Keiô-Universität formale Logik, was ihn nur darin bestärkte, das Metier des Schriftstellers zu wählen und sich dem ganzen Reichtum der Sprache zu widmen. Da er als Student seinen Lebensunterhalt mit Texten für Funk und Fernsehen verdient hatte und sein Schreiben nicht weiter einem materiellen Verwertungszwang unterwerfen wollte, begann er, in einem Wirtschaftsunternehmen zu arbeiten. Daneben verfasste er Romane und Erzählungen in der Tradition des japanischen Shishôsetsu-Romans, der sich der Erforschung des Individuums und seiner Gefühlswelten widmet. Während das traditionelle Genre nicht über das Alltagsleben hinausgeht, versuchte Sakagami, »die Alltäglichkeit zu beschreiben und ihre Grenzen zu überschreiten«. Deswegen thematisiert er oft von irrationalem Denken besessene Gesellschaftsgruppen. In dem Roman »Asa no mura« (1966; Ü: Das Dorf am Morgen) wird vom Zerfall einer fanatischen Gemeinschaft erzählt, die versucht, eine Theorie über Hühnerzucht als ideale Ordnung auf die Gesellschaft zu übertragen. Dieses Sujet wird im Roman »Keita no sentaku« (1998; Ü: Keitas Entscheidung) fortgeführt, in der der Protagonist nach seinem Ausstieg aus der kapitalistischen Gesellschaft auf der Suche nach Erlösung in eine religiöse Sekte eintritt, die sich tief in den Bergen angesiedelt hat. »Nemuran ka na« (2004; Ü: Soll ich schlafen?) ist eine Auseinandersetzung mit der Vätergeneration. Die Erzählung beschreibt, wie jene, die sich einst in Achtung der Menschlichkeit und der Natur dem Zen widmeten, sich zur Zeit des Wirtschaftswunders dem Unternehmertum verschreiben und dabei zugrunde gehen. Die Kurzgeschichte »Daidokoro« (1997; Ü: Die Küche) und der Roman »Chikakute tôi tabi« (2002; Ü: Die nahe ferne Reise) zeichnen nicht die Beschädigungen, sondern die Genesung des Individuums der Nachkriegsgeneration nach und thematisieren die Vereinbarkeit von individueller Liebe und familiärem Zusammenhalt.
Sakagamis Romane und Erzählungen wurden mit großem Lob aufgenommen und u.a. mit dem Yomiuri-Literaturpreis, dem Förderpreis des Kultusministeriums, dem Noma-Literaturpreis und dem Kawabata-Literaturpreis ausgezeichnet. 2005 wurde dem Autor für sein langjähriges schriftstellerisches Wirken der Kunshô-Kulturverdienstorden verliehen. Sakagami ist Präsident der japanischen Schriftstellervereinigung und Leiter von Keiô University Press. Er lebt in Tokio und arbeitet an einem neuen Buch, das nächstes Jahr erscheinen soll.
© internationales literaturfestival berlin
Aru aki no dekigoto
Chuokoron
Tokio, 1960
Asa no mura
Tokisha
Tokio, 1966
Daidokoro
Shinchosha
Tokio, 1997
Keita no sentaku
Kodansha
Tokio, 1998
Chikakute tôi tabi
Chuokoronshinsha
Tokio, 2002
Nemuran ka na
Kodansha
Tokio, 2004
Übersetzerin: Nora Bierich