23. ilb 06. – 16.09.2023

Helga M. Novak

Helga M. Novak wurde 1935 in Berlin-Köpenick geboren. Sie studierte Journalistik und Philosophie in Leipzig und arbeitete als Monteurin, Laborantin und Buchhändlerin. 1961 heiratete sie und zog nach Island. Dort veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband »Ostdeutsch«, der 1965 unter dem Titel »Ballade von der reisenden Anna« in Westdeutschland erschien. Im selben Jahr kehrte sie nach Leipzig zurück und begann dort ein Literaturstudium. Ein Jahr später wurde ihr die Staatsbürgerschaft der DDR aberkannt. Seitdem war sie isländische Staatsangehörige und hieß offiziell Maria Karlsdottir. Nach Aufenthalten in Island, Westdeutschland, Jugoslawien, Portugal und ab 1987 Polen, lebte sie seit Mitte der 2000er Jahre bei Berlin.

Novak ließ sich nie als DDR-Autorin oder als Oppositionelle vereinnahmen. Sie wahrte innerhalb des Kulturbetriebs eine eigenständige Position, so wie sie sich immer ihre Unangepasstheit erhielt. »Wem sollte ich mich denn anpassen? Ich bin im Kinderheim geboren, 14 Tage später ist meine Mutter gegangen. Ich wurde adoptiert, und mich hat’s erwischt, bei den für mich unpassendsten Eltern zu landen. Wem sollte ich mich anpassen? Und dann war Krieg. Mit 15 habe ich mein Elternhaus verlassen. Dann kam die Schule, die Partei, das war auch nicht so, dass man sich anpassen wollte.« Ihre Kindheit und Jugend sind das Motiv der beiden Bände »Die Eisheiligen« (1979) und »Vogel federlos« (1982). Es ist eine Zeit der betrogenen Hoffnungen, zunächst in einer wenig harmonischen Familie in der NS-Zeit, später in einer Kaderschmiede der jungen sozialistischen Republik. In einem eindringlichen Erzählstrom verbindet Novak weitgehend kommentarlos Erlebnissplitter in klarer, ausdruckstarker und zuweilen lyrisch-serieller Sprache.

Expressiver und karger ist ihre Lyrik. »Silvatica« (1997) versammelt spröde, bange und doch selbstbewusste Liebesgedichte. Semantischer Schauplatz ist der Wald, der raue, unverfälschte Ort abseits der Zivilisation, wo der Wilderer seine gefährdete Freiheit in enger Verbundenheit mit seiner Beute lebt. Mythologische, biblische und literarische Bilder und Anspielungen bringen einen Bedeutungsreichtum hervor, der von Assonanzen und Binnenreimen in rhythmischen freien Versen unprätentiös zusammengehalten wird. Der Code der Jägersprache evoziert eine Verfremdung des Bekannten. So entsteht ein lakonisches, zärtliches und herbes Bild von der Liebe: »die Jagd wird aufgehn immer wieder / denn Liebe hat keine Schonzeit«.

Novak wurde kontinuierlich mit Preisen ausgezeichnet. 1968 erhielt sie den Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen, 1979 war sie Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim. Es folgten unter anderen der Kranichsteiner Literaturpreis der Stadt Darmstadt (1985), der Brandenburgische Literaturpreis (1997), der Ida-Dehmel-Literaturpreis (2001), der Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis (2009), der Christian-Wagner-Preis (2010) und der Droste-Preis der Stadt Meersburg (2012). Ihre zahlreichen Lyrikbände wurden 1999 als Sammelband mit dem Titel »Solange noch Liebesbriefe eintreffen« veröffentlicht. 2013 erschien ihre Autobiographie »Im Schwanenhals«. Helga M. Novak starb am 24. Dezember 2013 in Rüdersdorf bei Berlin.

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