Hélé Béji
- Tunesien
- Zu Gast beim ilb: 2006
Hélé Béji wurde 1948 in Tunis geboren und wuchs als Tochter einer christlichen Mutter und eines moslemischen Vaters in einer liberalen Familie auf. Die Möglichkeit, die islamische Tradition ohne jeden Zwang zu erleben, wurde prägend für ihr gesamtes Werk. Sie studierte moderne Sprachen und habilitierte 1973 in Paris. Anschließend lehrte sie Französische Literatur an der Universität von Tunis und arbeitete im internationalen Bereich für die UNESCO. 1998 gründete sie das Collège international de Tunis, ein Kulturzentrum, das sich dem intellektuellen Austausch zwischen dem südlichen Mittelmeerraum und Europa, den USA und Lateinamerika auf den Gebieten von Literatur, Kunst, Philosophie, Geschichte und den Wissenschaften im Allgemeinen widmet. Sie arbeitet heute als dessen Leiterin. Béji trat mit mehreren Essays, Prosastücken und einem Roman sowie mit zahlreichen Artikeln hervor, die sich sämtlich mit der vergangenen Kultur des Islam und dem modernen Einfluss des Westens beschäftigen. In ihrem ersten Essay »Désenchantement national« (1982; Ü: Nationale Ernüchterung) mahnt sie die uneingelösten Hoffnungen der postkolonialen Unabhängigkeit an und denunziert den Missbrauch der westlichen Konzepte des Nationalismus und Individualismus in der arabischen Welt. 1997 griff sie diese Reflexion in dem Essay »L’imposture culturelle« (1997; Ü: Der Betrug der Kultur) erneut auf. In ihrem autobiografisch geprägten Roman »L’œil du jour« (1985; Ü: Das Auge des Tages) evoziert sie das idyllische Familienleben ihrer Kindheit als Symbol einer vergangenen Harmonie, die – den Einflüssen des Westens unterworfen – keinen Bestand mehr hat. In der Figur ihrer Mutter entwirft sie Weiblichkeit als beispielhaftes Modell für die Spannungen zwischen Tradition und Moderne, Morgenland und Abendland, Sicherheit und Freiheit. Wie auch in ihrem letzten Essay, »Une force qui demeure« (2006; Ü: Eine bleibende Kraft), versucht Béji diese Spannung als Reichtum und Kraftquelle zu verstehen. Mit feiner, poetischer Sprache, die häufig mit Bildern persönlicher Erinnerungen angereichert ist, beschreibt sie die prekäre Situation der modernen Frau, die sich um den Preis ihrer kulturellen Wurzeln und ihrer Weiblichkeit die Güter der Gleichheit und Eigenständigkeit erworben hat. Aus diesem Dilemma führt der Hinweis auf die gemeinsame Grundlage der Menschlichkeit. »Die Tugend der Frau besteht nicht in ihrer weiblichen Identität, sondern in ihrer menschlichen Identität. Über die Frauenfrage hinausgehend, stellt sich für mich die Frage nach der Humanität. Denn die Frauenfrage beschränkt sich nicht auf den feministischen Diskurs, sondern beinhaltet mit besonderer Bestimmtheit das Schicksal unserer Epoche: die Konfrontation zwischen der Tradition und der Moderne.« Béji wurde für ihr Werk mit mehreren Preisen geehrt, darunter der Prix de l’Afrique méditerranéenne, der Prix de la création littéraire und der Grand Prix de l’Association d’amitié France-Tunisie. Die Autorin lebt und arbeitet in Tunis.
© internationales literaturfestival berlin
Désenchantement national
Maspéro
Paris, 1982
L’œil du jour
Nadeau
Paris, 1985
Itinéraire de Paris à Tunis
Noël Blandin
Paris, 1992
L’Art contre la culture
Intersignes
Paris, 1994
L’Imposture culturelle
Stock
Paris, 1997
Une force qui demeure
Arléa
Paris, 2005