Habib Tengour
- Algerien
- Zu Gast beim ilb: 2017
Der algerische Lyriker, Soziologe und Anthropologe Habib Tengour wurde 1947 in Mostaganem, Algerien, geboren. 1959 übersiedelte seine Familie nach Frankreich, weil sein Vater, als Nationalist und Aktivist der algerischen Volkspartei PPA, vor der polizeilichen Verfolgung geflohen war. Habib Tengour studierte Soziologie in Frankreich bis zum Magisterabschluss, wurde dann in Algerien während seines Militärdiensts von 1972 bis 1974 erster Direktor des neu gegründeten Instituts für Sozialwissenschaften an der Universität Constantine.
In seinem ersten Versroman »Tapapakitaques. La poésie-île« (1979; Ü.: Tapapakitaques. Die Insel der Poesie) entwickelte Tengour einen Schreibstil, der zwischen Surrealismus und den Traditionen der arabischen Lyrik oszilliert und Dokumentarisches mit Geschichte und Mythos mischt. Im Rückblick auf vergangene Epochen werden deren namhafte Vertreter Odysseus, Nestor, Éluard oder Hikmet mit Elementen seiner eigenen Biografie versehen. In den achtziger Jahren erweiterte Tengour sein Debüt zu einer Romantetralogie mit den Titeln »Le vieux de la montagne« (1983; Ü.: Der Alte vom Berg), »Sultan Galièv ou la rupture de stocks« (1985; Ü.: Sultan Galiev oder Der Fehlbestand) und »L’épreuve de l’arc« (1990, dt.: »Die Bogenprobe«, 1993). Als einer der wichtigsten Autoren der neuen Generation nordafrikanischer Schriftsteller unterzog er dabei auch das moderne Algerien einer kritischen Betrachtung und prangerte vor allem den Fundamentalismus an: In »Le vieux de la montagne« spiegelt er den religiösen Fanatismus der Gegenwart in der mittelalterlichen Assassinenbewegung, in »Sultan Galièv ou la rupture de stocks« äußert er seine Kritik an der Politik Algeriens in einer Betrachtung der Russischen Revolution 1917. Die Figuren seiner Texte bewegen sich als Grenzgänger zwischen den Welten und Epochen, sie sind Ausdruck für die Lebensläufe mehrerer Generation von Migranten, vor allem der maghrebinischen: »Es gibt zwar einen klar umgrenzten Raum, genannt Maghreb, doch der Maghrebiner ist immer anderswo. Und er verwirklicht sich nur dort.« Sein Roman »Le poisson de Moïse« (2001; dt.: »Der Fisch des Moses«, 2004) schließlich ist eine Auseinandersetzung mit Islamismus und Gewalt. Tengour erzählt die Geschichte dreier junger Algerier, die in Afghanistan gegen die Sowjets gekämpft haben und nach dem Truppenabzug aus verschiedenen Motiven heraus als Mudschaheddin in den Krieg ziehen. Eine Sammlung seiner Gedichte, die zwischen 1981 und 2003 entstanden, erschien 2009 in der zweisprachigen Ausgabe »Seelenperlmutt«. Sie zeigt Tengour sowohl als politischen Autor, der sich Themen wie sozialem Miteinander, Bürgerkrieg, Emigration und Exil widmet, als auch als sanfte, über das lyrische Subjekt reflektierende Stimme. 2017 erscheint sein Mittelmeer-Migrations-Poem »Traverser«in deutsch-französischer Ausgabe.
Tengour wurde mit dem Prix de l’Afrique méditerranéenne/Maghreb und dem Prix Dante für sein Gesamtwerk ausgezeichnet. Er lebt in Paris und Constantine und ist 2017 Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD.
Le vieux de la montagne
Sindbad
Paris, 1983
Neuauflage:
Le vieux de la montagne
suivi de: Nuit avec Hassan
La Différence
Paris, 2008
dt. in Auszügen:
Der Untergang des Morgenlandes
Wuqûf 6/1991
[Ü: Regina Keil]
Die Bogenprobe
Beck & Glückler
Freiburg, 1993
[Ü: Regina Keil]
Der Fisch des Moses
Haymon
Innsbruck, 2004
[Ü: Regina Keil-Sagawe]
Le Maître de l’Heure
La Différence
Paris, 2008
Seelenperlmutt
Lyrik
Französisch-deutsch
Hans Schiler
Berlin, 2009
[Ü: Regina Keil-Sagawe]