Günter Kunert wurde 1929 in Berlin geboren. Da seine Mutter Jüdin war, durfte er 1936 keine weiterführende Schule besuchen. Von den Nazi-Behörden zudem als »wehrunwürdig« ausgemustert, arbeitete er vorübergehend als Lehrling in einem Bekleidungsgeschäft. Nach Kriegsende begann er ein Graphik-Studium an der Hochschule für Angewandte Kunst in Berlin-Weißensee, das er mit dem Verfassen von satirischen Gedichten und Geschichten für die Zeitschrift »Ulenspiegel« finanzierte. Nach fünf Semestern gab er das Studium dem Schreiben zuliebe auf. 1950 erschien Kunerts erster Gedichtband unter dem Titel »Wegschilder und Mauerinschriften«. Zu dieser Zeit wurde der junge Schriftsteller, inzwischen SED-Mitglied, von Johannes R. Becher, dem späteren DDR-Minister für Kultur, entdeckt und gefördert. In künstlerischer Hinsicht darf jedoch die Bekanntschaft mit Bertolt Brecht (um 1951/52) als die bedeutendere gelten. In den 1960er Jahren geriet Kunert mit seinen skeptisch-pessimistischen Versen zunehmend in Konflikt mit den literaturästhetischen Vorgaben der Kulturbehörden. Gleichzeitig wurde man in Westdeutschland auf den viel gelesenen Autor aufmerksam. Hier erschien 1967 sein einziger Roman, »Im Namen der Hüte«, der erst neun Jahre später in der DDR gedruckt werden sollte. Kunert erwarb internationales Ansehen und durfte ins Ausland reisen. 1972 übernahm er eine Gastprofessur in Austin, Texas, und 1975 verbrachte er ein Jahr als »Writer in Residence« im englischen Warwick. Auf seine Unterzeichnung des Schriftstellerprotestes gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1975 folgte der Parteiausschluss. 1979 ermöglichte ihm ein mehrjähriges Visum die Ausreise in die Bundesrepublik. Kunert ließ sich mit seiner Frau in Schleswig-Holstein nieder. Er lebt seither als freier Schriftsteller in Kaisborstel bei Itzehoe. »Schreiben ist eine Art Zwangsneurose«, erklärt der Vielschreiber Günter Kunert, der allein in den letzten fünf Jahren über 20 Werke veröffentlichte. Von dem Versuch, sich seiner »pathologischen Existenz durch Schreiben zu entledigen«, zeugt ein umfangreiches Werk, das aus Gedichten, Erzählungen, Märchen, Essays, Fotosatiren, Reisejournalen und Kinderbüchern besteht. Auf sein Leben in zwei deutschen Unrechtsstaaten blickt der Autor ohne Verbitterung. Die DDR zumindest hatte auch Vorzüge: »Die Auseinandersetzungen in der DDR waren stets rabiat und direkt. Das macht hellhörig und hat meinem Schreiben, wie ich meine, genutzt.«
Lakonisch und knapp, wie seine Gedichte, formulierte Kunert seine Erinnerungen, die 1997 unter dem Titel »Erwachsenenspiele« herauskamen. Zwei Jahre später, zu seinem 70. Geburtstag, erschien der Gedichtband »Nachtvorstellung«, eine Sammlung von freien und gereimten Versstücken, in denen sich die Erfahrung des Alters, nicht jedoch seine Müdigkeit, bemerkbar macht. »In den Koordinaten von Mythos und Moderne, Sehnsucht und Vergeblichkeit, Geschichte und Schuld bewegen sich die Gedichte in einer Schönheit, die ihr eigentlicher Entwurf ist, ihr Anliegen an sich«, so Kurt Drawert in seiner Besprechung dieses Buches. Kunert war Präsident des P.E.N.-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland. Neben seinem kontinuierlichen, literarischen Schaffen gehörte er zudem als Gegner der Rechtschreibreform zu den Mitgliedern des Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege.
Günter Kunert starb am 21. September 2019 in Kaisborstel.
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