Guadalupe Nettel
- Mexiko
- Zu Gast beim ilb: 2007
Guadalupe Nettel wurde 1973 in Mexiko-Stadt geboren. Sie wuchs in ihrem Heimatland und Frankreich auf, wo sie mit der französischen Sprache vertraut wurde. Nach ihrem Hispanistik-Studium an der Universidad Nacional Autónoma in Mexiko-Stadt lebte sie fünf Jahre lang in Paris, wo sie an der Ecole des Hautes Etudes auf dem Gebiet der Sprachwissenschaften mit dem DEA-Diplom graduierte. Bereits im Alter von neunzehn Jahren wurde sie von Radio France Internationale mit dem Preis für die beste französischsprachige Erzählung außerhalb des frankophonen Sprachraums ausgezeichnet. Seitdem veröffentlichte sie zahlreiche Kurzgeschichten, die in Sammelbänden erschienen und in Anthologien wie »Dispersión multitudinaria« (1997; Ü: Massenstreuung) aufgenommen wurden, und einen Roman. Sie schreibt für verschiedene Zeitungen, darunter »Lateral«, »Letras Libres« sowie für die Beilagen von »Culturas« und »Le Monde des livres«.
Ihrer ersten Erzählsammlung, »Juegos de artificio« (2003; Ü: Feuerwerk), folgte 2006 der auf Französisch publizierte Band »Les jours fossils« (Ü: Die fossilen Tage). Im selben Jahr erschien ihr erster Roman, »El huésped« (Ü: Der Gast). Dessen Protagonistin Ana wird seit ihrer Kindheit in ihrer Vorstellung von einem unbekannten Wesen begleitet, das von ihr »das Ding« genannt wird und ihr Dasein auf radikale Weise bestimmt. Sie lebt nach dem Tod ihres vergötterten Bruders und dem Fortgehen des Vaters in autistischer Zurückgezogenheit bei ihrer Mutter, bis sie in einer Blindenanstalt als Vorleserin zu arbeiten beginnt. Hier lernt sie mehrere behinderte und randständige Existenzen kennen, die sie in die geheimnisvolle und surreale Unterwelt von Mexiko-Stadt einführen. Allmählich beginnt Ana sich mit ihrer Angst und ihrer Umgebung auseinanderzusetzen, sich von der Präsenz des fremden Wesens zu befreien und eine eigene Identität zu finden.
Der Roman, der gleichzeitig auf Spanisch und Französisch erschien, wird von einer allwissenden Ich-Erzählerin auf verschiedenen Zeitebenen erzählt. Durch Anleihen bei der phantastischen Literatur – in der Nettel »eine Reihe von Erleichterungen« findet, »wenn es darum geht, die Individualität und Subjektivität der handelnden Personen zu umreißen« – entsteht ein Spiel zwischen Innenwelt und Umwelt der Protagonistin, Oberfläche und Untergrund von Mexiko-Stadt, Offenbarem und Verstecktem. So wird eine Bildlichkeit entwickelt, die darstellt, wie die Konfrontation mit der unheimlichen Seite des Selbst zur Entwicklung eines befreiten Ich führen kann. »In dem, was uns an uns selbst erschreckt, was uns beschämt, befinden sich die Schlüssel unserer Existenz: die Möglichkeit, uns zu enträtseln. Weil das, was uns erschreckt, uns auch einzigartig macht«, formulierte die Autorin.
»El huésped« stand auf der Auswahlliste des spanischen Premio Herralde. Nettels neues Buch, »Pétalos« (Ü: Blütenblätter), wurde mit dem mexikanischen Erzählpreis Premio Gilberto Owen ausgezeichnet. Die Kurzgeschichtensammlung wird Ende 2007 erscheinen. Derzeit arbeitet die Autorin an ihrem zweiten Roman. Sie lebt in Barcelona, wo sie als Übersetzerin arbeitet.
© internationales literaturfestival berlin
La alcoba dormida
[ mit Juan Villoro undÁlvaro Enrigue]
Universidad Nacional Autónoma de México
México, 2000
Juegos de artificio
Instituto mexiquense de cultura
Toluca, 2003
Les jours fossils
Editions de l’éclose
Paris, 2006
L’Hôte
Actes Sud
Paris, 2006
El huésped
Anagrama
Barcelona, 2006
Pétalos
Anagrama
Barcelona, 2007