23. ilb 06. – 16.09.2023
Portrait German Sadulajew
© Galina Dursthoff

German Sadulajew

German Sadulajew wurde 1973 als Sohn einer Russin und eines Tschetschenen in Schali (Tschetschenien) geboren. Er arbeitete zunächst an verschiedenen Orten in Russland u. a. auf dem Bau, in einem vegetarischen Restaurant und in einer indischen Tabakkompanie. Anschließend studierte er Jura an der Universität von St. Petersburg und arbeitet heute dort als Rechtsanwalt. Bereits als Kind schrieb er Gedichte, später Songtexte für eine Band, bis er in den letzten Jahren anfing Erzählungen und Novellen zu verfassen.

Sein Romandebüt »Odna lastočka eščo ne delaet vesny« (dt.: »Ich bin Tschetschene«, 2009) ist der erste literarische Versuch, die tschetschenische Tragödie aus dem Inneren heraus zu verstehen. Noch bevor der Roman 2006 im russischen Verlag Ultra.Kultura erschien, kursierte er in Künstlerkreisen und wurde für das Theater adaptiert. German Sadulajew nennt sein Buch einen Roman in Splittern. Tatsächlich spiegelt der Text nicht nur den Verlust von Heimat und Identität, auch die Schreibweise ist fragmentarisch und sammelt gleichsam die Splitter eines Bewusstseins auf. Es sind poetische Miniaturen: Erinnerungen aus der Kindheit im sowjetischen Tschetschenien, Porträts seiner Landsleute, Kriegsschicksale, historische Exkurse und Reminiszenzen an die wenig bekannte tschetschenische Mythologie. Sadulajew schreibt über die Erde, die vom Krieg vergewaltigt wird, über Russland, das gegen die Berge kämpft, über die tschetschenischen Frauen, die versuchen den tödlichen Kreislauf der Blutrache zu beenden, indem sie ihre Haare lösen und ihre Kopftücher vor die russischen Panzer werfen. Er schreibt über seine Nachbarin, aus deren Herzen die Nadel einer Splitterbombe operiert wurde, wovon offiziell niemand wissen kann, weil Splitterbomben nach der Genfer Konvention verboten sind. Er schreibt über die Heimkehr junger russischer Soldaten, die nicht mehr ins zivile Leben zurückfinden und den Freitod wählen. Und er schreibt darüber, wie schwer es ist, ein Tschetschene zu sein: »Wenn man Tschetschene ist, muss man seinen Feind, wenn er als Gast anklopft, bewirten und beherbergen. […] Man darf nicht weglaufen.«

In einem neuen, bislang unveröffentlichten Roman unternimmt er den Versuch zu rekonstruieren, wie es zum zweiten Tschetschenienkrieg kommen konnte. Er ist 2010 in der russischen Literaturzeitschrift »Znamja« erschienen.

Bibliographie

Ich bin Tschetschene

Ammann

Zürich, 2009

[Ü: Franziska Zwerg]

Tabletka

Ad Marginem

Moskau, 2008

Posten Nr. 1

Lettre International, Nr. 86, S. 223 ff.

Herbst 2009

[Ü: Franziska Zwerg]