Faraj Sarkohi
- Deutschland, Iran
- Zu Gast beim ilb: 2002
Faraj Sarkohi wird 1947 im iranischen Shiraz in einer Arbeiterfamilie geboren. Der Vater ist, wegen Aktivitäten in einer Arbeiterorganisation, häufig im Gefängnis. Die Mutter arbeitet als Putzfrau, ermöglicht Sarkohi, der sechs Geschwister hat, so die Schule. Zehnjährig gewinnt er einen Schreibwettbewerb einer Kinderzeitschrift. Als Schlüsselerlebnis seiner unbestechlichen Wahrheitsliebe erinnert Sarkohi die Reaktion des Vaters auf seinen Gewinn: Er fragt ihn, ob er die Wahrheit geschrieben habe. Mit 14 Jahren publiziert Sarkohi seinen ersten Artikel, mit 18 kommt er aufgrund seines Schreibens zum ersten Mal für drei Monate ins Gefängnis. Er studiert Soziologie und persische Literatur in Täbris und Teheran. Als Student beteiligt er sich an Demonstrationen gegen den Schah, schreibt zahlreiche regimekritische Artikel. 1971 wird Sarkohi wegen dieser Publikationen zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt, 1979 durch die Islamische Revolution befreit. Er schließt sich dennoch bald der Opposition gegen das neue Mullah-Regime an. 1985 begründet er das Kulturmagazin „Adineh“, das er 11 Jahre leitet. Als einer der Wortführer einer Schriftsteller-Initiative gegen Zensur wird er 1996 verhaftet, gefoltert, bis er sich bereit erklärt, nicht mehr zu schreiben. Freigelassen, schreibt er dennoch auf, was ihm widerfuhr. Seine in Berlin lebende Frau veröffenlicht den Text in europäischen Zeitungen. Einen Monat später wird Sarkohi wiederum verhaftet, in einem geheimen Verfahren zum Tode verurteilt, gefoltert. Auf Grund internationaler Proteste amnestiert, entkommt er 1998 nach Frankfurt, wo er als Gast des Projekts „Städte der Zuflucht“ Unterkunft findet. Seit Mai 2000 ist er Stipendiat des vom P.E.N.-Zentrum Deutschland betreuten Projekts „Writers in Exile“. Auch im Exil setzt sich der Iraner für Pressefreiheit, Abschaffung der Zensur und das Recht auf freie Meinungsäußerung in seinem Heimatland ein. Im Jahr 2006 ernannte das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Deutschlands Sarkohi zu seinem Beauftragten für Menschenrechte. Der iranische Schriftsteller wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. 1999 erhielt er „Die Goldene Feder der Freiheit“ des Weltverbands der Zeitungen. In der Isolationshaft schrieb er Artikel im Geiste, überlebte durch die Kraft der Imagination. „Man kann sich nur durch Schreiben retten, “ sagt er über die traumatisierenden Erlebnisse seiner Haft: Wächter, die mit ihm seine Hinrichtung spielten, die Todesangst, die Folter. Aus den Jahren bei „Adineh“ kennt er den zersetzenden Prozess der Selbstzensur aus Angst vor dem Regime: „Mit den Jahren verliert man sich selbst,“ sagt Faraj Sarkohi. Wie in seinen meisten Werken schildert der Journalist und Schriftsteller in seinem neuen Romanprojekt „Wir erleichtern Ihnen den Tod“ die Entwürdigungen der Haft. Wie im Gefängnis erlebt, haben Sarkohis Figuren in diesem und anderen Werken, keine Namen nur Nummern, werden Unperson. Wiederkehrendes Thema ist der durch Haft, Folter und Todesangst entstehende Realitätsverlust, eine elementare Verunsicherung über die eigene Person, die Sarkohi auch durch das stilistische Mittel der Persönlichkeitsspaltung symbolisiert: der Protagonist flieht in eine andere, geliehene Identität, die ihrerseits Zwiegespräche mit Figuren aus der persischen Mythologie führt. Das imaginäre Personal tritt als scheinbar reale Mitspieler auf. „Die Kraft der Imagination reißt ihn aus der Gegenwart heraus in die Zeitlosigkeit,“ schreibt Elsbeth Wolffheim und sie fährt fort: „Mit diesem Kunstgriff, dem sowohl in den Erzählungen als auch in seinem Roman entscheidende Bedeutung zukommt, knüpft Faraj Sarkohi an die reiche persische Erzähltradition an.“
© internationales literaturfestival berlin
Übersetzerin: Sabine Kalinock