Ernest Wichner
- Deutschland
- Zu Gast beim ilb: 2018
Ernest Wichner wurde 1952 in Zăbrani/Guttenbrunn im Banat geboren. Nach dem Abitur am Nikolaus Lenau-Lyzeum in Temeswar studierte er Germanistik und Rumänistik an der dortigen Universität des Westens. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Literaturkreises Aktionsgruppe Banat, welcher von der Securitate überwacht und verfolgt wurde. 1975 wanderte er nach West-Berlin aus und führte sein Studium der Germanistik sowie der Politologie an der Freien Universität fort. Nach langjähriger Tätigkeit für das Literaturhaus Berlin übernahm Wichner von 2003 bis 2017 dessen Leitung und konzipierte Ausstellungen u. a. über Warlam Schalamow, Bohumil Hrabal sowie zuletzt zu einer bisher unpublizierten Korrespondenz zwischen Hermann Hesse und seinem jüngsten Sohn.
Wichners literarisches Schaffen umfasst Lyrik- und Essaybände, ferner eine Vielzahl an komplexen Nachdichtungen und Übertragungen von rumänischen Autoren, zu deren (Wieder-)Entdeckung er oft selbst angeregt hatte; darunter M. Blecher, Daniel Bănulescu, Nora Iuga, Varujan Vosganian und Mircea Cărtărescu. Außerdem ist die Herausgabe eines Kanons der rumänischen Literatur in Planung. Wichners Debüt »Steinsuppe« (1988) zeigt ein breites dichterisches Stilspektrum mit bisweilen surreal-dadaistischem Einschlag, wobei die intertextuelle Einbettung von Fragmenten und Anekdoten – beispielsweise über Oskar Pastior, Georg Trakl oder Tristan Tzara – stets Teil einer tiefergehenden Sprach- und Selbstreflexion ist: »Bedeutungen nachtragend, die / keiner gemeint noch / vergessen zu haben / glaubt«. »Alte Bilder« (2001) versammelt fragmentarische Geschichten, die von Rundgängen auf dem Trödel im bulgarischen Plowdiw inspiriert sind. Abermals werden zufällig vorgefundene Artefakte und Zeugnisse zum Anlass für eine imaginativ-allegorische Erinnerungsforschung. Auch die Bände »Rückseite der Gesten« und »Die Einzahl der Wolken« (beide 2003) unternehmen mit feinem Humor mentale Tiefenbohrungen zu längst Verschüttetem, folgen aber einem avantgardistischen Impuls. Die Gedichte in »bin ganz wie aufgesperrt« (2010) stecken nicht nur voller raffinierter Referenzen, die verschiedenste Lyrikströmungen zusammenführen; Wichner veredelt auch mit »Desparates Berlin der Zeit 1920« eine poetische Trouvaille, indem er einer im Marbacher Literaturarchiv gefundenen Notiz von Franz Hessel eine zweistrophige Versform verleiht.
2005 wurde Wichner mit dem Preis der Stadt Münster für Internationale Poesie geehrt. Seine Übersetzung von Cătălin Mihuleacs »Oxenberg & Bernstein« (2018) über das Pogrom vom 29. Juni 1941 in der ostrumänischen Stadt Iaşi war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Wichner lebt in Berlin.
Steinsuppe
Suhrkamp
Frankfurt a. M., 1988
Rückseite der Gesten
Zu Klampen
Lüneburg, 2003
bin ganz wie aufgesperrt
Das Wunderhorn
Heidelberg, 2010
Neuschnee und Ovomaltine
hochroth
Berlin, 2010
Cătălin Mihuleac
Oxenberg & Bernstein
Zsolnay
Wien, 2018
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